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Unsere Kindersollen es mal besser haben

erschienen in Clara, Ausgabe 15,

Dieser Wunsch vieler Eltern scheitert in Deutschland oft an gesellschaftlichen Verhältnissen, eigenen Existenzängsten und familiären Konventionen.

Katja Urbatsch redet unglaublich schnell und enthusiastisch, als ginge es um ihr Leben. Genaugenommen geht es auch darum. Jedoch nicht nur um ihr eigenes, sondern um den Lebensweg vieler Jugendlicher, die aus Nichtakademikerfamilien stammen. Katja Urbatsch ist Anstifterin und Meisterin im Mutmachen, wenn es gilt, ein Studium aufzunehmen. Sie weiß, wovon sie redet, kennt die Hürden und den Widerstand, den sie überwinden musste, als sie und ihr Bruder sich als erste in ihrer Familie entschlossen, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Neben den gesellschaftlichen Benachteiligungen in Deutschland – nur 23 Kinder von 100 Nichtakademikerfamilien studieren, gebe es auch familiäre, die vor allem aus einem ernormen Informationsdefizit bestünden. Es sei ein Irrtum, meint die 30-Jährige, dass nur finanzielle Belastungen viele Abiturienten davon abhielten, ein Studium aufzunehmen. Im Mai 2008 gründete sie das Netzwerk »ArbeiterKind.de«. Diese Initiative richtet sich an alle Schülerinnen, Schüler und Studierenden, die als erste in ihrer Familie einen Studienabschluss anstreben. ArbeiterKind.de bietet ein »Rundum-Paket an Informationen über Vorteile eines Studiums, Finanzierungsmöglichkeiten und Berufsperspektiven nach erfolgreichem Abschluss«. Innerhalb von knapp zwei Jahren wurde über das Internetportal hinaus ein System von 1300 ehrenamtlichen Mentoren in 70 Städten geschaffen, die sich in lokalen ArbeiterKind.de-Gruppen engagieren. Das zeigt, wie groß der Bedarf ist, und begründet auch den Erfolg des Netzwerkes. Erst kürzlich erzählt Katja Urbatsch, bot ein Professor der Uni Konstanz seine Mitarbeit an. Er wird – wie die anderen Mentoren – in Gymnasien und Realschulen gehen, um in Foren jungen Leuten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Das eigene Vorbild hilft meist, Unwissenheit und Vorbehalte abzubauen. Solche Klischees sind selbst an Universitäten anzutreffen. Katja Urbatsch erzählt wütend von der promovierten Leiterin einer Studienberatung, die einer Abiturientin das Studium ausreden wollte. Dem Mädchen sei exakt vordekliniert worden, dass sie scheitern würde. Zum Glück ließ es sich nicht beirren und wandte sich an ArbeiterKind.de. Ein Mentor half der jungen Frau, das passende Studium, die Finanzierung und vor allem den Glauben an sich selbst zu finden. »Natürlich ist es toll«, sagt Katja Urbatsch, »dass wir im vergangenen Jahr einige Preise für unsere Idee eingeheimst haben. Doch noch wertvoller ist es für mich, als mir vor kurzem ein Mädchen sagte: ›Seit ich Sie gehört habe, weiß ich, dass ich nach den Sternen greifen kann.‹«


Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Fehler im System
»Das Engagement von Katja Urbatsch und den anderen Mitarbeitern der Initiative ›ArbeiterKind.de‹ verdient hohe Anerkennung. Es ist eine Kernforderung der LINKEN, dass alle Jugendlichen gleichermaßen die Möglichkeit haben müssen zu studieren – ganz egal, welchen Berufsabschluss die Eltern haben oder wie viel sie verdienen. Gegenwärtig sieht die Situation jedoch ganz anders aus:83 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien studieren, aber nur 17 Prozent?aus Arbeiterfamilien. Der Grund liegt vor allem im System. Bis zur Aufnahme eines Studiums müssen die Jugendlichen zahlreiche Hürden überwinden, davon sind die meisten finanzieller Art: Semesterbeiträge, Studiengebühren, Kosten für Bücher, Wohnung, Laptop und Bibliotheksnutzung. Hinzu kommt, dass durch die dramatische Unterfinanzierung im Bildungssystem auch viel zu wenig Studienplätze zur Verfügung stehen, weswegen der Zugang stark beschränkt ist. Kinder aus ›besseren Verhältnissen‹ haben da wesentlich bessere Chancen auf einen guten Studienplatz.«