Zum Hauptinhalt springen

Überlebenskünstlerinnen in Schwarz-Weiß

erschienen in Lotta, Ausgabe 6,

Ostdeutsche Frauen zeigen Gesicht. Ein Fotoprojekt 25 Jahre nach dem Mauerfall

Es sind schöne Fotos, faszinierende Gesichter, stolze Blicke, sichtbare Lebensspuren. Eingefangen von Anja Gersmann. Die Berliner Fotografin porträtierte insgesamt 30 Frauen. Die jüngste 50 Jahre alt, die älteste 80. Ihre Gemeinsamkeit: Sie lebten in der DDR und mussten sich nach 1989 „neu erfinden“. In der Regel war der einst erlernte und ausgeübte Beruf nichts mehr wert, Partnerschaften zer- brachen, das soziale Umfeld änderte sich. Nichts blieb so wie es mal war. Wie also überleben? Paula Panke, das Frauenzentrum in Berlin-Pankow, wollte das wissen, suchte und fand „Überlebenskünstlerinnen“ und machte daraus eine Begegnungsreihe, in der Frauen von ihren Lebensumbrüchen, den Neuanfängen, Unsicherheiten, Verlusten, aber auch von Mut und Selbstvertrauen erzählten. Jede Geschichte war einmalig, erstaunlich, berührend, hatte witzige und traurige Momente. Am Ende stand die Idee, solche stillen und unbekannten „Heldinnen des Alltags“ zu fotografieren, ihre Lebensspuren einen Moment lang festzuhalten. Und so fragten die Paula- Panke-Frauen Besucherinnen, Nachbarinnen, Freundinnen, Bekannte, ob sie bei so einem Fotoprojekt mitmachen würden. Die Zusagen waren überwältigend. Drei große Fotoshootings fanden zwischen Weihnachten und Neujahr 2013 im Frauenzentrum statt. Eine Herausforderung für die Fotografin und ihre „Models“.

Zum Beispiel Gisela. Mitte Siebzig, vielfache Großmutter, mit üppig rotblonder Haarpracht. Ob sie sich traue, die Haare von den vielen Spangen und Klemmen zu befreien, fragt die Fotografin. Gisela zögert, vor vierzig Jahren habe sie das letzte Mal die langen Haare offen getragen. Damals sei sie Dolmetscherin gewesen, im Außenhandel der DDR. Gleich mit Beginn der 1990er Jahre kam die Kündigung, danach eine Umschulung, der Sprung in die Selbstständigkeit. Die Kamera klickt, das Schwarz-Weiß-Foto zeigt eine Frau mit offenen Haaren und offenem Blick.

Das Leben aller porträtierten Frauen gleicht einer Berg-und-Tal-Fahrt. Es war nach 1989 ein Auf und Ab zwischen Arbeitslosigkeit, Umschulungen, befristeten Jobs, Verantwortung für Kinder, häufig auch noch für den ebenfalls arbeitslos gewordenen Ehemann. Auch Maria Antonia aus Chile zählt mit ihrer Biografie dazu. Sie ist in Valparaiso am Pazifik geboren. Der Militärputsch im Jahr1973 zwang sie ins Exil, nach Potsdam, ihre mittlerweile zweite Heimat. Sie war – wie die meisten DDR-Frauen auch – immer berufstätig. Heute, mit über 80 Jahren, überrascht und begeistert sie auf Veranstaltungen ihr Publikum mit Liedern aus Lateinamerika.

Das Fotoprojekt „Überlebenskünstlerinnen“ hat ein internationales Vorbild. Es geht zurück auf den französischen Fotokünstler Juste Ridicule, weltweit bekannt unter dem Kürzel JR. Er glaubt daran, dass auch Fotos die Welt ein wenig verändern können. Fotos von Menschen, die im Alltag kaum wahrgenommen wer- den. Er fotografierte weltweit Menschen in Slums, darunter stolze Frauen in den Favelas Brasiliens. Er will das „Innere“ nach „außen“ kehren, die Schönheit der Menschen zeigen, die am Rande der Gesellschaft leben. Es gibt einen Film über seine Fotoarbeiten in Indien und Brasilien. „Frauen sind Heldinnen“ hat er ihn genannt.

Die jetzt fotografierten DDR-Frauen sind auch solche unbekannten, stillen Heldinnen des Alltags. Die schwarz-weißen Porträts sind mittlerweile auf großflächige Leinwände gezogen und sie sollen – wie alle bisherigen Fotos des internationalen Inside-Out-Projekts – im öffentlichen Raum ausgestellt werden. Weithin sichtbar entweder an Häuserwänden oder an zentralen Plätzen. Sie bleiben jeweils so lange hängen, bis sie von allein verwittern und abfallen.

Am Internationalen Frauentag sollen die dreißig Porträts in Berlin öffentlich gezeigt werden. Doch wo? Vor Wochen schon wurde bei Ämtern, Behörden, Immobilienverwaltern angefragt, um Ausstellungsmöglichkeiten an zentral gelegenen Orten zu erhalten. Bislang gab es nur Absagen. Der öffentliche Raum – auch in der Bundeshauptstadt – scheint weitgehend privatisiert zu sein oder er wird freigehalten für Werbeflächen, die Geld einspielen. Das tut dieses Frauen-Foto-Projekt nicht. Aber die porträtierten Frauen sind ein Stück Berlin, ein Teil dieser Stadt, ein Teil ihrer wechselvollen Geschichte. Darum geben die Frauen von Paula Panke auch nicht auf und glauben fest daran, die „Überlebenskünstlerinnen“ schaffen auch diesen Sprung.