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Soziale Offensive für eine sichere Zukunft

Von Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht, erschienen in Clara, Ausgabe 40,

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch plädieren auf ein Bündnis für Frieden und soziale Sicherheit und unterbreiten fünf Vorschläge

Jahrzehntelang haben die meisten Menschen optimistisch in die Zukunft geschaut. Wie selbstverständlich gingen sie davon aus, dass die nachfolgende Generation in größerem Wohlstand würde leben können als sie selbst. Das ist lange vorbei. Unsere Gesellschaft wird vom Neoliberalismus zerfressen, Zuversicht und das Vertrauen in die Zukunft schwinden rapide, an ihre Stelle treten immer mehr Zukunftsängste. Dies bildet einen gefährlichen Nährboden für ein Erstarken der Rechtspopulisten. Dieser bedrohliche Trend muss umgekehrt werden. Es geht darum, endlich wieder mehr soziale Sicherheit politisch durchzusetzen. DIE LINKE steht in der Verantwortung, alles dafür zu tun, damit eine soziale Wende Realität wird.

 

Schon heute gehört es zum Stadtbild, dass alte Menschen nach Pfandflaschen suchen, um sich ihre kümmerliche Rente aufzubessern. Doch das ist wohl leider erst der Anfang. Berechnungen zeigen, dass im Jahr 2030 bereits jeder zweite Rentner in Armut leben wird. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer realisieren, dass auch sie davon betroffen sein werden, wenn sich nicht bald etwas ändert. Wenn die Politik so weitermacht wie bisher, bedeutet das, dass der gesellschaftliche Fortschritt an den Menschen vorbeigeht. Trotz Wirtschaftswachstum ist der Durchschnittslohn seit der Jahrtausendwende nicht gewachsen. Immer mehr Menschen werden in den Niedriglohnsektor gedrängt, in dem die Löhne in den vergangenen Jahren sogar gesunken sind. Der Mindestlohn ist gegenwärtig viel zu niedrig und verhindert selbst nach 40 Arbeitsjahren keine Altersarmut. Immer mehr Menschen befinden sich in niedrig bezahlten und prekären Beschäftigungsverhältnissen, geprägt durch Dauerbefristungen, Minijobs, Leiharbeit und Werkverträge. Für sie ist Arbeitslosigkeit eine allgegenwärtige Bedrohung. Früher gab es durch die Arbeitslosenversicherung noch eine gewisse Absicherung gegen den materiellen Absturz. Die Arbeitslosenhilfe war vom letzten Einkommen abhängig und wurde unbefristet gezahlt. Dann kam unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung die Agenda-2010-Politik, die bis heute auch unter Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Schäuble (beide CDU) gilt. Heute bekommt nur noch ein Drittel der Arbeitslosen Geld aus der Arbeitslosenversicherung. Die meisten fallen direkt in das Hartz-IV-Sanktionssystem. Das kann für die betroffenen Personen existentielle Folgen haben. Arbeitslose oder prekär beschäftigte Menschen werden häufiger krank und sterben früher. Immer mehr Kinder sind durch die Armut ihrer Eltern betroffen. Inzwischen ist rund jedes siebte Kind von Hartz-IV-Leistungen abhängig.

 

Unsicherheit in der Mittelschicht

Weil der Sozialstaat seinen Namen nicht mehr verdient, hat sich die Unsicherheit weit in die Mittelschicht hineingefressen. Ein solches Klima der Angst ist schlecht für gewerkschaftliche Arbeitskämpfe und dringend notwendige Lohnerhöhungen – die Angst vor dem vorprogrammierten Absturz bei Arbeitsplatzverlust schwächt die Position der Arbeitnehmer. Stattdessen macht es die Starken noch stärker, fördert Lohndrückerei und erhöht die Profite der Konzerne sowie die Dividendeneinnahmen der Superreichen.

Das hat Folgen. Inzwischen besitzt das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung so viel Vermögen wie die restlichen 99 Prozent zusammen. Es ist für die Demokratie eine Katastrophe, wenn neoliberale Parteienkartelle gegen die Interessen der weit überwiegenden Mehrheit ihre Politik unaufhörlich durchsetzen können. Vor vier Jahren haben sich fast 80 Prozent unserer Bevölkerung für eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer ausgesprochen. Trotzdem traut sich – außer DIE LINKE – keine andere Partei im Bundestag, diese Forderung zu erheben und sich mit den Reichen anzulegen. Eine parlamentarische Mehrheit für eine soziale Alternative ist daher bis heute nicht absehbar. Das trägt nicht dazu bei, dass Menschen Demokratie für etwas wirklich Verteidigungswertes halten.

 

Für einen sozialen Neustart in diesem Land

DIE LINKE hat der SPD immer angeboten, dass wir mit ihr zusammen im Interesse der Bevölkerung den Sozialstaat wieder herstellen. Bisher sind die Sozialdemokraten aber auf dieses Angebot nicht glaubwürdig eingegangen. Jüngstes Beispiel ist die Vermögenssteuer: Ohne eine angemessene Reichenbesteuerung lässt sich eine Erneuerung des Sozialstaats nicht umsetzen und nachhaltig solide finanzieren. Noch vor kurzem hat Sigmar Gabriel die Vermögenssteuer für tot erklärt. Nun verkündet er, dass er sich damit anfreunden könne, wenn die Betriebsvermögen davon ausgenommen werden würden. Das Problem ist nur, dass die Superreichen ihr gigantisches Vermögen insbesondere in Unternehmen angelegt haben. Daher ist auch Gabriels lautes Nachdenken über eine kastrierte Vermögenssteuer kein glaubwürdiges Signal der SPD für die Unterstützung einer sozialen Wende in diesem Land.

 

Es gibt positive Veränderung

In anderen Ländern hingegen gibt es Entwicklungen, die Hoffnung machen, dass vielleicht sogar ein Wandel der SPD möglich ist. Da ist zum Beispiel der bemerkenswerte Achtungserfolg von Bernie Sanders bei den Vorwahlen in den USA. Er spricht von einer »politischen Revolution«, die nötig sei, um die Dinge im Sinne der »99 Prozent zu verändern« und erntet dafür sehr viel Zuspruch von den Demokraten – und das im Mutterland des Kapitalismus. Wenn auch ein SPD-Parteivorsitzender diesen Satz wieder sagen und mit einer glaubhaften Programmatik unterlegen würde, dann könnte in Deutschland sozialer Fortschritt tatsächlich wieder ein erhebliches Stück näher rücken.

Auch in England gab es eine positive Veränderung. Dort konnte sich mit Jeremy Corbyn ein Marxist an der Spitze der Labour Party durchsetzen. Solche Entwicklungen zeigen: Es ist möglich, dass die Sozialdemokratie den neoliberalen Irrweg wieder verlässt. Aber die Zeit drängt. Die Menschen brauchen dringend wieder soziale Sicherheit und einen optimistischen Blick in die Zukunft. Wer das nicht bald ernst nimmt, der rollt auch der AfD den roten Teppich aus.

Ein »Bündnis für Frieden und soziale Sicherheit« muss klar verständliche Vorschläge in einer wirklichen Reformagenda machen, von der die Menschen glaubhaft eine Verbesserung ihrer Situation erwarten können:

Diese Fünf-Punkte-Deklaration kann aus unserer Sicht die Basis für eine dringend notwendige und grundsätzlich andere Innen- und Außenpolitik sein. Für eine Politik, die nicht mehr spaltet, trennt und Menschen gegeneinander aufhetzt, sondern die allen in diesem Land und in Europa eine Perspektive bietet. Wir laden jede und jeden dazu ein, mit uns auf dieser Grundlage für einen sozialen Neustart in diesem Land zu kämpfen – im und außerhalb des Parlaments. Dieser Neustart, ohne Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU); würde endlich auch die Perspektive für ein soziales Europa eröffnen. Je stärker DIE LINKE, desto eher können wir das schaffen.

 

 

1. Vom Lohn der Arbeit muss man leben können, und ein Arbeitsplatzverlust darf nicht zu sozialem Absturz führen. Daher sind eine deutliche Anhebung des Mindestlohns, die Wiederherstellung der Arbeitslosenversicherung und effektive Maßnahmen zur Beseitigung von Dauerbefristungen, Leiharbeit und Werkverträgen nötig.

2. Die gesetzlichen Rentenansprüche aus einer normalen Erwerbsbiographie müssen den Lebensstandard im Alter sichern und insbesondere Altersarmut verhindern. Deshalb muss die öffentliche Förderung der Riester-Rente beendet und stattdessen das gesetzliche Rentenniveau angehoben werden.

3. Der vorhandene gesellschaftliche Reichtum, der sich in wenigen Händen konzentriert, muss für alle nutzbar gemacht werden. Als Instrument dafür ist die Einführung einer Vermögenssteuer für Millionäre alternativlos, um mit diesen Milliardeneinnahmen eine Stärkung des Sozialstaats und dringend notwendige Investitionen in die Zukunft zu finanzieren.

4. Deutschland muss zu einer friedlichen Außenpolitik zurückkehren und endlich Fluchtursachen wirklich bekämpfen. Das bedeutet: deutsche Waffenexporte verbieten, Beendigung aller Kriegseinsätze der Bundeswehr und das sofortige Ende der Unterstützung von Interventionskriegen.

5. Die Europäische Union braucht einen demokratischen Neustart. Statt Konzernlobbykratie, Bankenrettungen und diktierten Kürzungen von Löhnen und Renten muss der soziale Fortschritt in Europa wieder in den Mittelpunkt gestellt werden.