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Scheidung im Osten Rentenkatastrophe nach der Einheit

erschienen in Klar, Ausgabe 46,

Jeden letzten Dienstag im Monat treffen sich die Magdeburger Frauen des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen. Vor genau 20 Jahren gründeten sie ihre Gemeinschaft. Der Grund: Die ersten von ihnen hatten ihren Rentenbescheid bekommen, und der ergab Unglaubliches. Obwohl die meisten von ihnen 35, 40 und manchmal mehr Jahre gearbeitet hatten, lag die monatliche Rente weit unter der Grundsicherung.

Zum Beispiel Anita Eschgerber. Sie muss mit monatlich 639 Euro netto auskommen. Da ist die sogenannte Mütterente für ihre Zwillinge schon dabei. Gelernt hatte sie einst Uhrmacherin, jung geheiratet, die Kinder bekommen, diese bis zum dritten Lebensjahr betreut, gleichzeitig jedoch auch stundenweise in der Werkstatt ihres Mannes die Büroarbeit erledigt. Damals gab es auch im Osten noch keine flächendeckende Kita-Betreuung. Allerdings konnten sich die damaligen Mütter ihren gesetzlichen Rentenanspruch durch eine freiwillige Versicherung erhalten. Und später, für die eigene Rentenberechnung, zählten ohnehin die letzten 20 Arbeitsjahre. Da waren die Kinder längst aus dem Haus und die Frauen wieder in Vollzeit. Anita Eschgerber arbeitete zuletzt als Empfangssekretärin in einem Hotel. Mit dem eigenen Gehalt hätten sie und alle anderen Mütter auf eine eigene, gute und vom Ehemann unabhängige Rente bauen können. Selbst nach einer Scheidung. Anita Eschgerbers offizielle Ehetrennung war im April 1989, nur wenige Monate vor dem Mauerfall.

Ein Anrecht auf den im Westen seit 1977 üblichen Versorgungsausgleich hat sie dennoch nicht. Die DDR sah ihn nicht vor und somit wurden den geschiedenen DDR-Frauen diese aus Ehezeiten gemeinsamen Versorgungsansprüche nicht zugebilligt. Die juristische und politische Begründung lautet: Für die DDR-Ehemänner muss der Bestandsschutz gelten.

Die Ex-Ehefrauen haben damit kein Problem. Recht soll Recht bleiben. Doch warum bekommen sie keinen Bestandsschutz zugebilligt? Warum wurde für sie – mit der Scheidungssituation – dann nicht die Rentenberechnungsformel aus DDR-Zeiten angewendet? Inzwischen sind die Frauen 70, 80 und noch mehr Jahre alt, und sie beziehen erbärmlich geringe Renten: knapp 400 Euro, 580 Euro, 650 Euro, 800 Euro. Mal ein paar Euro mehr, mal ein paar weniger – aber immer weit unter der Grundsicherung. Und das trotz Arbeit.

Die Grundsicherung zu beantragen, das wird den Frauen immer und immer wieder nahegelegt. Sie lehnen das ab. Sie seien keine Sozialhilfeempfängerinnen, sie wollen keine Almosen, sie wollen ihre gerechte Rente. Sie wollen Entschädigung für die bisher verloren gegangenen Rentenjahre, und sie wollen zukünftig monatliche Ausgleichszahlungen. Das alles hat der Vorstand des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen Anfang April 2019 erneut im zuständigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgebracht. Zusammen mit Marion Böker. Sie ist Menschenrechtsanwältin und begleitet die in der DDR geschiedenen Frauen seit neun Jahren. Sie brachte diese Rentenungleichbehandlung vor die UN-Frauenrechtskonvention. Mit Erfolg. Der Bundesregierung wurde mitgeteilt, die Benachteiligung der DDR-Frauen sei eine Menschenrechtsverletzung. Sie sollte bis März 2019 staatliche Modelle entwickeln, die die Rentnerinnen für den bisherigen Verlust entschädigen und zukünftig für einen Ausgleich sorgen. Im Übrigen sah auch schon der Einigungsvertrag mögliche Sonderregelungen für die betroffenen Frauen vor. Man hätte sie suchen und finden können, spätestens als die ersten geschiedenen Frauen in die Rente gingen. Keine einzige Bundesregierung hat es gekümmert. Die Frauen wurden abgewimmelt, hingehalten, vertröstet. Und waren es zum Gründungsbeginn noch 800000 Frauen, die sich beim Verein meldeten, leben inzwischen zwischen Rostock und Suhl, Sassnitz und Chemnitz nur noch 300000 betroffene Frauen. Mit einer schäbigen Rente, die mit ihrer tatsächlichen Lebensleistung nichts zu tun hat.

Gisela Zimmer

 

Infokasten

Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e. V.

• Der Zusammenschluss erfolgte 1999.
• Gruppen vor Ort existieren in allen neuen Bundesländern.
• Nach einer Übergangszeit mit einem Rentenüberleitungsgesetz beseitigte der Gesetzgeber mit Anwendung des Sozialgesetzbuches VI (Westrentenrecht) ab 1. Januar 1997 den Eigentums-, Bestands- und Vertrauensschutz für Alterssicherungsansprüche der Frauen aus der DDR. Die Folge: verminderte Versicherungsrenten und eine frauenspezifische Diskriminierung.
• Worin besteht die Ungerechtigkeit? Das geltende Bundesrecht berücksichtigt für die geschiedenen Ostfrauen weder die besonderen Regelungen, die es für sie zu DDR-Zeiten gab, noch die Regelungen der BRD für Geschiedene (Versorgungsausgleich oder Geschiedenen-Witwenrente).
• Geschiedene Frauen in der DDR waren beim Erwerb von Rentenanwartschaften nicht auf einen Versorgungsausgleich angewiesen.

Mehr unter: www.verein-ddr-geschiedener-frauen.de