Zum Hauptinhalt springen

Riskant und bedrohlich

erschienen in Klar, Ausgabe 46,

Wie wichtig wäre die Beibehaltung des Vertrags?

Der amerikanische Präsident und die Bundeskanzlerin haben im Juli 2018 gemeinsam mit allen Staats- und Regierungschefs der NATO erklärt, dass der Vertrag von »entscheidender Bedeutung« für die euro-atlantische Sicherheit ist und sie der Erhaltung dieses Abrüstungsvertrags »voll und ganz verpflichtet« sind. Kurze Zeit später hat Donald Trump den Vertrag gekündigt. Die USA haben sich damit gegen die Sicherheit ihrer europäischen NATO-Verbündeten entschieden und eindeutig über den Grundsatz der gemeinsamen und gleichen Sicherheit hinweggesetzt. In der NATO gibt es nun zwei Zonen unterschiedlicher Sicherheit.

Angela Merkel bezeichnete die Kündigung als »unabwendbar«. Sie haben für die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl gearbeitet. Sie wissen, wie die Regierungen in Washington und Moskau ticken. Konnte die Bundesregierung wirklich nichts zur INF-Rettung unternehmen?

Die Bundeskanzlerin sollte wissen, dass die Vertragskündigung eine nukleare Aufrüstung Russlands gegenüber Europa legitimiert. Denn stimmt der amerikanische Vorwurf einer russischen Vertragsverletzung, kann Russland sein eurostrategisches Programm ohne vertragliche Beschränkungen fortsetzen. Stimmt er nicht, ist Russland jetzt frei, ein derartiges Programm zu beginnen. Die Bundesregierung hat das amerikanische Vorgehen unterstützt. Sie hat jedenfalls mehr als vier Jahre – so lange gibt es die amerikanischen Vorwürfe gegenüber Russland – nichts getan, um diese existenzielle Gefahr für Deutschland und Europa abzuwenden.

Was müsste sie unternehmen, um eine atomare Aufrüstung zu stoppen?

Wir befinden uns in einer Übergangsphase von sechs Monaten, bis der INF-Vertrag endgültig endet. Man muss die wechselseitigen Vorwürfe der USA und Russlands ernst nehmen und sie überprüfen. Dazu müsste das Inspektionsregime des INF-Vertrags reaktiviert werden, das schon im Mai 2001 ausgelaufen ist. In Vor-Ort-Inspektionen könnten die gegenseitigen Vorwürfe überprüft werden. Wer den Vertrag verletzt hat, müsste alle Maßnahmen rückgängig machen, die gegen den Vertrag verstoßen. Dazu ist jeder Vertragspartner verpflichtet, solange der Vertrag noch besteht. Die Bundeskanzlerin hielt auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein Plädoyer für den Multilateralismus und meinte, dass es besser sei, über den eigenen Tellerrand zu schauen und zu versuchen, gemeinsam Win-win-Lösungen zu erreichen. Sie sollte ihren Worten Taten folgen lassen, solange es noch möglich ist.

Das Interview führte Rüdiger Göbel