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Rente mit 67 bleibt sozialer Sprengstoff

erschienen in Clara, Ausgabe 15,

In diesem Jahr muss die Rente mit 67 auf den Prüfstand – so steht es im Gesetz. Doch die Bundesregierung will sich davor drücken. von Klaus Ernst

Wer geglaubt hat, die Zeiten der Basta-Politik sind vorbei, der wird immer wieder eines Besseren belehrt. So erging es Anfang Februar dem rentenpolitischen Sprecher der LINKEN, Matthias Birkwald. Verdutzt schaute er auf den Brief aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der seine Anfrage beantwortete, wie die Bundesregierung mit der gesetzlichen Überprüfungsklausel zur Rente ab 67 umgehen werde. Gar nicht, lautete die Antwort vom Staatssekretär Andreas Storm. Überprüft werde gar nichts, es werde nur berichtet, wie die Arbeitsmarktlage Älterer ist. Basta! Die Bundesregierung plant demnach die Einführung der Rente mit 67 auf Biegen und Brechen – ganz gleich, was sie für Jung und Alt bedeuten wird.
Als die Große Koalition 2007 die Rente ab 67 beschloss, sah sie sich massiver Kritik ausgesetzt. Es bestanden erhebliche Zweifel, ob die Anhebung des Rentenalters vor dem Hintergrund fortdauernder Arbeitslosigkeit und der schlechten Arbeitsmarktsituation Älterer überhaupt zu verantworten sei. Deshalb wurde in das Gesetz eine Überprüfungsklausel aufgenommen. Nach dieser hat die Bundesregierung »den gesetzgebenden Körperschaften vom Jahre 2010 an alle vier Jahre über die Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu berichten und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer weiterhin vertretbar erscheint und die getroffenen gesetzlichen Regelungen bestehen bleiben können«. (§ 154 Abs. 4 Satz 1 SGB VI).

Löchrige Überprüfungsklausel

Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, legte sich im März 2007 in der Debatte um die Einführung der Rente ab 67 mächtig ins Zeug: »Für uns, meine Damen und Herren, stand immer fest: Die Rente mit 67 kommt nur, wenn ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen haben. Das ist die Voraussetzung für die Anhebung des Renteneintrittsalters. Deshalb haben wir im Gesetz auch eine Überprüfungsklausel vorgesehen. Weil es sich um eine verbindliche Überprüfung handelt, sind wir damit eine politische Verpflichtung eingegangen.«
Doch der Genosse Brandner hat nicht gehalten, was er lauthals versprach. Denn, seine Überprüfungsklausel ist offensichtlich nicht wasserdicht. Zumindest lässt sie viel Spielraum für Interpretationen, der nun von der schwarz-gelben Regierung ausgenutzt wird.
Im Spätherbst wird abschließend über die Arbeitsmarktlage Älterer berichtet. Die Faktenlage ist seit langem eindeutig. Die Hälfte aller Betriebe in Deutschland beschäftigt keinen Arbeitnehmer über 50 Jahre. Mit 55 einen neuen Job zu finden, kommt fast einem Sechser im Lotto gleich. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt bei 63 Jahren. Nur noch 7,4 Prozent der 63- und 64-Jährigen gehen aus einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Beschäftigung in Rente. Mehr als die Hälfte der Ruheständler muss bereits heute empfindliche Abschläge von der Rente in Kauf nehmen, weil sie krank oder entlassen wurden und nicht bis 65 arbeiten konnten. Die Entwicklung dieser Abschläge ist rasant. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Rentenabschläge verdreifacht. Sie betrugen in 2007 durchschnittlich 11,3 Prozent. Die Rente ab 67 ist faktisch eine Rentenkürzung um 7,2 Prozent, wenn sich die reale Erwerbstätigenzeit nicht um zwei Jahre erhöht. Um dies zu ermöglichen, wären bis zu drei Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze nötig. Doch dies ist eine völlig irrige Annahme, wenn man zudem bedenkt, dass heute bereits eine »Arbeitsplatzlücke« in Höhe von rund fünf Millionen konstatiert wird. Die Krise wird das Problem enorm verschärfen.
Die Rente ab 67 ist sozialer Sprengstoff und unverantwortlich. Bereits jetzt ist eindeutig absehbar: Wer ohne Besitz und Vermögen ist und im Alter nur auf seine Rente angewiesen, hat ein hohes Risiko, auch nach einem langen Erwerbsleben im Alter arm zu sein. Das betrifft besonders Frauen.
Da die Bundesregierung um die reale Lage am Arbeitsmarkt weiß, will sie an keine Überprüfungsklausel gebunden sein. Gewerkschaften, Sozialverbände und andere Interessengruppen bestehen jedoch darauf, dass das Renteneintrittsalter nicht angehoben werden kann, wenn real eine längere Beschäftigungszeit nicht umsetzbar ist. So steht bis in den Spätherbst eine Auseinandersetzung über die Definitionshoheit der sogenannten Überprüfungsklausel an. Es wird nun darum gestritten, ob Überprüfungsklausel meint, die Lage lediglich zu analysieren, oder ob sie auch die Rücknahme der Rente mit 67 ermöglicht. Letztendlich geht es aber um die Frage, wie hoch die politischen Kosten für die Regierung sein werden, wenn sie die Rente ab 67 gegen alle Vernunft durchpeitscht.
Dies dämmert wohl auch Sozialministerin Ursula von der Leyen. Sie traf sich Anfang März mit DGB-Chef Sommer und verkündete, es gehe darum, »die Rente mit 67 so mit Leben [zu] füllen, dass wir eines Tages sagen können, es ist tatsächlich möglich, Arbeit bis 67 sinnvoll zu ermöglichen«. Es gehe auch um den Schutz derjenigen, die nach jahrzehntelanger harter körperlicher Arbeit das Ziel nicht erreichen können. Diese dürften »nicht in eine Lücke fallen zwischen […] Erwerbsunfähigkeit und Abschlägen in der Rente, die nicht mehr fair wären«, zitiert die Berliner Zeitung vom 2.3.2010 die Ministerin.
Welchen Köder wirft die PR-geübte Ministerin aus, um letztendlich die Rente ab 67 durchzudrücken? Will sie an der Rente ab 67 festhalten, aber bestimmte Betroffenengruppen ausnehmen? Plant sie Überbrückungsmodelle für »harte Fälle«, um die geschlossene Abwehrfront der Gewerkschaften zu brechen? Will sie uns die Debatte aufzwingen, ob es einfacher ist, als Bauarbeiter bis 67 zu schuften oder als Erzieherin in der Kita? Ein Sprecher des Ministeriums stellte umgehend klar, dass es Sache der Tarifparteien sei, die Bedingungen zu schaffen, damit möglichst wenige vor dem 67sten Lebensjahr gesundheitsbedingt aus dem Beruf aussteigen müssen. Entsprechend nüchtern reagierten die Gewerkschaften auf die Nebelkerzen von Frau von der Leyen.

Rente mit 67 – ohne uns!

Die Rente ab 67 muss weg – ohne wenn und aber! Die allgemeine Arbeitsmarktlage gibt es nicht her, dass alle bis 67 arbeiten können. Selbst, wenn besonders schwer gefährdete Gruppen Erleichterungen erfahren sollten, ändert dies für die Mehrheit nichts. Zudem wird den jungen Menschen durch die Rente ab 67 der Zugang zum Arbeitmarkt zusätzlich erschwert. Und überhaupt: Die Rente ab 67 schafft außer Nachteilen für alle kaum einen Vorteil. Die Rentenkasse entlastet sie im Umfang eines halben Beitragpunktes; die Arbeitnehmer damit um 0,25 Prozent vom Beitragssatz. Das sind nun echt Peanuts, vergleicht man die sozialen Folgekosten, die das Vorhaben verursachen wird – sowohl gesellschaftlich als auch für jeden privat betrachtet.
Der Weg ist daher vorgegeben. Bescheren wir der Regierung einen heißen Herbst! Nutzen wir die Zeit der Auseinandersetzung über die Definitionshoheit, ob die Überprüfungsklausel gilt oder nicht. In dieser Frage gibt sich selbst die SPD kämpferisch, um einen Fluchtweg aus ihrem selbst initiierten Drama zu finden. Nutzen wir jede Gelegenheit, unsere absolute Ablehnung der Rente ab 67 lauthals kundzutun. Nutzen wir die gesellschaftlichen Bündnisse, die sich zahlreich bieten. Nutzen wir den 1. Mai zum Protest gegen die Rente ab 67. Und erheben wir die Stimme gegen alle Befürworter der Rente ab 67, wenn sich Gelegenheit dazu bietet!