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Reise an den Anfang der Welt - Spitzbergen

erschienen in Clara, Ausgabe 9,

Eine Woche auf dem Forschungsschiff ›Polarstern‹: Die Mitglieder des Forschungsausschusses hatten schwerwie-gende Entscheidungen zu treffen.

Dass sich Abgeordnete des Forschungsausschusses über polare Meeresforschung vor Ort - also auf einem Forschungsschiff vor Spitzbergen - informieren, mag wenig überraschen. Was aber treibt Mitglieder des Haushaltsausschusses dorthin? Die Antwort scheint einfach: Es geht, wie kann es anders sein, um Geld und um strategische Entscheidungen, diesmal insbesondere für die Fortsetzung polarer Meeresforschung. Dazu ist es erforderlich, die Forschungsflotte zu erneuern. So beschreibt es auch ein Strategiepapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Darin haben Wissenschaftler Anforderungen an Ausrüstungen, Technik und Personal für künftige Forschung konzipiert. Ausgangspunkt ist »die zunehmende Nutzung der Weltmeere als globale Ressource sowie die überragende Rolle des Ozeans in der Entwicklung des Klimas«. Was so abstrakt im offiziellen Vokabular scheint, sollte eine Woche lang Thema einer ungewöhnlichen Expedition werden. Für mich als Sprecherin für Forschungs- und Technologiepolitik und Michael Leutert, Mitglied des Haushaltsausschusses, war es eine Reise in die reale, nahe Zukunft. Es galt gemeinsam abzuwägen, ob DIE LINKE Forderungen nach einer klaren Perspektive der Meeresforschung unterstützen soll.
Die Forschungsflotte der Bundesrepublik besteht derzeit aus sieben Schiffen. Drei sind global unterwegs, zwei im Nordatlantik und zwei regional. Die »Polarstern« kommt weltweit zum Einsatz. Um sie geht es konkret, weil ihre »schiffbaulich sinnvolle« Nutzung 2016 ausläuft. Zwischen 1999 und 2002 wurde sie teilweise modernisiert. Dadurch erhöhte sich die Nutzungsdauer auf 30 Jahre. Nun muss der Bundestag entscheiden, ob man die Lebensdauer nochmals über ein solches »ReFit« strecken soll oder ob nicht ein Neubau der »Polarstern« sinnvoller ist.

Neubau oder Renovierung der »Polarstern«

Deshalb gingen wir Abgeordnete gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern des Alfred-Wegner-Insituts für Polar- und Meeresforschung der Helmholtz-Gemeinschaft im Juli an Bord des Forschungseisbrechers. Dort begann der zweite von drei Törns der »Polarstern« im arktischen Sommer 2008. Startort war Longyearbyen, der größte Ort Spitzbergens, an dem 2600 Menschen leben. Wir erreichten ihn mit »Glück«, denn unser Flugzeug durfte als erstes überhaupt wieder landen. Andere waren des schlechten Wetters wegen abgewiesen worden. Eine wichtige Erkenntnis für Forschung in diesen Breiten: Alle Vorhaben stehen unter Vorbehalt des Wetters. Dem ist völlig gleich, welche Pläne Forscherinnen und Forscher verfolgen. Jene gingen daher unverzüglich an Bord, um ihre Tests vorzubereiten. Wir dagegen sprachen zunächst mit dem Chef der Inselverwaltung.
Danach wurde es abenteuerlich. Seebewegte Schlauchboote waren möglichst trocken zu besteigen. »Nass gemacht« wurden wir trotzdem - durch Gischt auf der Überfahrt. Nächstes Problem - entern des Fallreeps an der Bordwand. 22 Kulleraugen sehnten ein Standbild herbei. Die beiden Linken hofften auf ihre Fitness. Ich dachte im Stillen, wenn ich da nicht hochkomme, kündige ich nach Rückkehr sofort meinen Vertrag in der »Mucki-Bude«. Alles ging gut.
Einweisung in Kajüten, Schiffsführung, Rettungsübung, Abendessen. Danach begannen intensive Gespräche über zentrale Themen der Meeresforschung: Rolle des Ozeans im Klimasystem, Vielfalt und Wandel der marinen Biosphä-re, Küstenzonen als Risiko- und Wachstumspotenzial, Verfügbarkeit von Ressourcen der Ozeane u.a.m. Erörtert wurde, inwieweit die auf der »Polarstern« genutzten Großgeräte und Labortechnik neuen Anforderungen gewachsen sind. Eine Diskussion, die auf der ganzen Reise nie abriss. Sie erhielt mit jedem vorgestellten Projekt neue Nahrung.
Auf der »Polarstern« begannen erste Messungen noch in tagheller Nacht. Für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Forschungsgebiet ist seit Jahren die Framstraße
zwischen Spitzbergen und Grönland. Biologische, ozeanografische, chemische und geophysikalische Arbeiten waren Haupt-inhalt des zweiten Törns.
In der Framstraße findet ein gewaltiger Wasser-, Salz- und Wärmeaustausch zwischen Atlantischem Ozean und Nordpolarmeer statt. Die Route 78°50’N wird seit Jahren abgefahren, um Daten kontinuierlich zu sammeln. Am Mee-resgrund ausgelegte Messgeräte werden jährlich eingeholt und wieder ausgesetzt. Optische Systeme erfassen die Besiedlung des Bodens und Sedimentproben zeigen seine Beschaffenheit. Vor der Küste Grönlands werden GPS-Sensoren für seismische Messungen positioniert. Damit können die Forscher Eisanhebungen und -dicken beobach-ten. Seit 1999 haben sie eine deutliche Änderung der Fauna festgestellt. Und in den vergangenen zehn Jahren ist die Wassertemperatur um 2°C im Schnitt gestiegen, umgewälzte Wassermassen haben sich reduziert. Vor der Behauptung, es handele sich um Zeichen des Klimawandels, werden wir allerdings immer wieder gewarnt. Wissenschaftler kennen auch natürliche Zyklen, die zu ähnlichen Wandlungen führen.
Klimaforschung
ist Knochenarbeit
Die Tests sind eiskalte Knochenarbeit bei heftigen Winden. Uns ist schon beim Zuschauen die Kälte in die Glieder gefahren. Beeindruckend war zudem, wie international zusammengearbeitet wurde. Forscher anderer Länder nutzen gern die Möglichkeiten der »Polarstern«. Mit uns sind Norweger, Polen, Belgier, Dänen, Franzosen unterwegs. Ein großer Teil der Besatzung stammt - wie wir beiden Linken - aus dem Osten Deutschlands, vom »tapferen Seefahrervölkchen der Sachsen«.
Nach zwei Bordtagen werden wir am nördlichsten dauerhaft besiedelten Ort der Erde abgesetzt - Ny-Ålesund. Mit Hubschraubern geht’s 15 km über bewegte See. Für mich auch ein Erlebnis der besonderen Art, vor allem, wenn man Achterbahnen verachtet. In Ny-Ålesund betreiben neben Deutschland viele andere Länder Forschungsstationen. Jüngste sind die Chinas, Koreas und Indiens. Wenn das kein Hinweis darauf ist, wie wichtig Polarforschung international genommen wird.
Einer unserer Begleiter pendelt seit neun Jahren zwischen Arktis und Antarktis. Uns allen dagegen war das trotz strahlend blauen Himmels schwer vorstellbar.
Typisch für den Sommer dort ist extrem unbeständiges Wetter mit tagelanger Nebelküche. Mal einfach durch die Landschaft joggen, um Gedanken zu ordnen, geht auch nicht. Schon vor der Reise warnte lakonisch eine Mail: »Wanderungen in die Umgebung sollten aus Sicherheitsgründen unterbleiben (Eisbären).« Gesehen haben wir leider keinen.
Die »Polar 5«, ein Forschungsflugzeug mit Messapparaturen, brachte uns zurück zum Ausgangspunkt Longyaerbyen. Ein unvergessliches Panorama bot sich während des Fluges. Wir zogen unser Fazit: DIE LINKE sollte den Erhalt der Leistungsfähigkeit und des Spektrums unserer Forschungsflotte unterstützen. Die Erde und die globale Gemeinschaft werden vielfältig von Ozeanen beeinflusst. Zu erforschen, worin Wechselwirkungen bestehen, ist nicht nur eine menschliche Herausforderung. Es ergeben sich auch praktische Konsequenzen für Besiedlung und Nutzung von Küstenregionen, aber auch für einen verantwortlichen Gebrauch mariner Ressourcen.
Wenn dabei reichere Länder größeren Aufwand betreiben, baut sich mittelfristig auch Knowhow auf, das ärmere Länder nutzen können. Sie vermeiden ökologische Fehler, die die globale Gemeinschaft langfristig teuer zu stehen kommen.
Dafür hat die Reise mit ihren unglaublichen Eindrücken umfangreiche Fakten geboten.