Zum Hauptinhalt springen

Queer im Parlament

Von Barbara Höll, erschienen in Lotta, Ausgabe 5,

Ein Rückblick von Barbara Höll.

Vier Jahre schwarz-gelbe Koalition haben im queer-Bereich Stillstand bedeutet. Die Bundestagsmehrheit reagierte, statt zu agieren. Die Union weigerte sich beharrlich, die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe gleichzustellen, und der Koalitionspartner FDP war und ist nicht gewillt, Druck auszuüben. In sechs Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zur Gleichbehandlung gezwungen, zuletzt erst wieder im Juni 2013 zum Einkommen- steuerrecht. Weitere Urteile – Beispiel vollständiges Adoptionsrecht – werden folgen. Die Regierungskoalition handelt immer nur dann, wenn sie vom Gericht dazu verpflichtet wird. DIE LINKE brachte als erste Fraktion in dieser Legislaturperiode einen Antrag zur Öffnung der Ehe in den Bundestag ein. Damit hätte eine Gleichbehandlung ad hoc erfolgen können. Die Regierungskoalition und die SPD lehnten ab.

DIE LINKE und zuvor die PDS machten mit Kleinen Anfragen seit Mitte der 1990er Jahre auf die Verletzung der Grundrechte von Intersexuellen aufmerksam. Insbesondere die frühkindlichen geschlechtsangleichenden Operationen fügen den Betroffenen schweres Leid zu. Dies bestätigt der Bericht des Ethikrats. In der ersten Öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag sprach sich die Mehrzahl der Sachverständigen mindestens für eine massive Einschränkung der bisherigen Praxis aus. DIE LINKE, die SPD und die Grünen brachten nach einem intensiven Austausch Anträge in den Bundestag ein, die ein Verbot von frühkindlichen Operationen forderten. Doch die Regierungskoalition war nur zu einer minimalen Änderung im Personenstandsrecht bereit.

Ebenso schwer haben es transsexuelle Menschen. Auch das Transsexuellengesetz ist nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nur noch ein Torso, verletzt aber weiterhin die Grundrechte. FDP und Union einigten sich in ihrem Koalitions- vertrag auf eine Verbesserung der Situation von Transsexuellen. Gehandelt wurde bis heute nicht. Ein entsprechender Antrag der LINKEN wurde abgelehnt.

Bis 1969 galt in der Bundesrepublik der Paragraf 175 StGB in der unveränderten Nazifassung weiter, in der DDR bis 1951. Im Westen wurden rund 50 000 Männer verurteilt, im Osten Deutschlands etwa 3 000, nur auf Grund der Tatsache, dass sie Männer liebten. Obwohl der Bundestag sich für die Verfolgung in der Nachkriegszeit entschuldigte, sind die Urteile weiterhin rechtskräftig. DIE LINKE verfasste in dieser Legislaturperiode einen Antrag zur Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen. Erstmals gab es eine Öffentliche Anhörung zum Thema. Doch Schwarz-Gelb blockierte die weitere Behandlung im Parlament.

DIE LINKE hat in den letzten vier Jahren mit vielen parlamentarischen Initiativen – immer in Absprache mit den Betroffenen – politischen Druck aufgebaut und die Öffentlichkeit für die Ungleichbehandlung und Wahrung der Menschenrechte nicht heterosexueller Menschen sensibilisiert. Es gelang, mit einer gesellschaftliche Debatte die Urteile des Bundesverfassungsgerichts positiv zu begleiten und auch die SPD zu einer Änderung ihrer Positionen zu bewegen. Wie im Fall der Öffnung der Ehe und der Frage der Rehabilitierung der nach Paragraph 175 StGB Verfolgten.

Als einzige Fraktion brachte DIE LINKE einen Antrag ein, der den Verfolgten sexuellen Minderheit ein Asyl- und Bleiberecht ermöglicht, wie auch einen Antrag, der das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz so erweitern würde, dass chronisch kranke Menschen, wie HIV-Positive, vor Kündigungen geschützt wären. Beides wurde von der Regierungskoalition abgelehnt.

Vier Jahre schwarz-gelbe Regierungszeit sind ein Beleg für das Unvermögen zu queerer Politik. Erschreckend auch die Beobachtung, dass die Union Homosexuellenfeindlichkeit instrumentalisiert, um Teile des »Stammtischs« zu binden. Die FDP bekundete teilweise Protest, doch offiziell stimmte sie mit der Union. Wer soziale Gerechtigkeit und queere Politik stärken möchte, kann nur auf links bauen.

Barbara Höll ist queerpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Buchtipp

queer. macht. politik. Schauplätze gesellschaftlicher Veränderung – Eine Leseempfehlung

Die drei Autoren – Klaus Lederer, Barbara Höll, Bodo Niendel – sind politische Akteure. Sie treten mit diesem Sampler in einen Dialog mit queeren AkteurInnen. Parlamentarische Arbeit kann nur erfolgreich sein, wenn Handlungsfelder an der Basis eröffnet und erweitert werden, wenn sich im Bewusstsein der Mehrheiten etwas ändert. Davon erzählen die unterschiedlichen Buchbeiträge. Sie zeigen, wie individuelles Engagement und organisierte Politik Hand in Hand gehen und skizzieren in ihrer Summe das Programm emanzipatorischer Politik von morgen. Das Buch erscheint Mitte Juli, die Buchpremiere ist am 27. August 2013 im Berliner SchwuZ, Mehringdamm 61.

queer.macht.politik, Herausgeber Barbara Höll, Klaus Lederer, Bodo Niendel, 256 Seiten, 18 Euro.