Die Bundesregierung steht kurz vor einer Neuformulierung des Prostitutionsgesetzes. Nicht weniger als zwei Jahre wurde darüber diskutiert. Umso verwunderlicher ist es, dass neben einigen lautstarken Gegnerinnen und Gegnern von käuflichem Sex und Organisationen von Sexarbeiterinnen und -arbeitern die gesellschaftliche Debatte darüber nur verhältnismäßig kleine Kreise zieht. Dabei steht vieles auf dem Spiel.
Hinter der jetzigen Ausgestaltung des Gesetzes steht eine sehr zweifelhafte Moralvorstellung, die die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen –sie sind die immer noch größte Gruppe der in der Sexarbeit Tätigen –schlicht nicht anerkennt. Das Gesetz bildet damit nicht nur einen direkten Angriff auf Sexarbeiterinnen*, sondern setzt Maßstäbe, was weibliche Sexualität sein und wo sie stattfinden darf –gegen Bezahlung oder ohne. Ein genauer Blick auf den inneren Widerspruch des Gesetzes macht das deutlich: Schon die Bezeichnung „Prostituiertenschutzgesetz“ ist schlichtweg falsch. Prostituierte als noch immer verbreitetes Synonym für Sexarbeiterinnen*, haben sich bewusst für diese Arbeit entschieden. Begründet wurde das Gesetz jedoch ursprünglich mit der Hilfe für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution – also gerade nicht für Prostituierte. Weil sexuelle Selbstbestimmung für die Regierungskoalitionäre jedoch starke Grenzen hat, können sie nicht recht zwischen beiden Gruppen unterscheiden. So stehen jetzt am Ende völlig unsinnige Regelungen, die Zwangsprostituierten nicht helfen, aber zahlreiche Sexarbeiterinnen* in Not bringen werden. Das zeigt sich beispielhaft an dem wohl zentralsten Bestandteil des neuen Gesetzes: dem Anmeldegebot. Vorgesehen ist, dass jede Person, die an einem Ort sexuelle Dienstleistungen anbieten will, sich bei einer Behörde anmeldet. Nach zwei Jahren oder mit jedem Ortswechsel wiederholt sich diese Pflichtanmeldung. Bei der Behörde werden die vollständigen persönlichen Daten inklusive gültiger Meldeanschrift hinterlegt, sodass auch die Möglichkeit einer Bescheinigung, die nur ein Pseudonym enthält, keinen Schutz bietet. Für viele Sexarbeiterinnen* stellt das ein großes Problem dar. Vorurteile und Verurteilungen sind nach wie vor verbreitet, die Stigmatisierung ist enorm. Weder ein Sorgerechtsstreit, ein Bewerbungsgespräch noch der Umgang im Tennisclub werden höchstwahrscheinlich durch ein solches Outing angenehmer. Der Schutz der sensiblen Daten, zu denen aufgrund der vorgesehenen Meldung bei jedem Ortswechsel auch ganze Bewegungsprofile zählen, ist aber mitnichten gesichert. Die Folge wird sein, dass sich zahlreiche Prostituierte erst gar nicht melden und so in die Illegalität gedrängt werden. Sie werden erpressbar und können nur unter Selbstanklage im Beruf erfahrene Gewalt anzeigen. Dieser Verlust von Sicherheit für Sexarbeiterinnen* wird nicht mit einem verbesserten Schutz von Zwangsprostituierten erkauft. Das Argument der Regierung, Freier und Behörden könnten mittels der Aliasbescheinigungen Zwangsprostitution herausfiltern und zur Anzeige bringen, entspricht nicht der Realität. Vielmehr zeigen Erfahrungen aus Wien, dass Opfer von Menschenhandel meist im Besitz einer Anmeldebescheinigung waren. Statt Kontrolle und Schikane brauchen Sexarbeiterinnen*, aber auch Zwangsprostituierte, belastbare Rechte. Opfer von Menschenhandel können besser erreicht werden, wenn die derzeit bestehende Bindung ihres Bleiberechts in Deutschland an ihre Aussagebereitschaft aufgehoben werden würde. Bislang bekommen Menschenhandelsopfer nur dann eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, wenn ihre Aussage im strafrechtlichen Verfahren benötigt wird. Das versetzt sie gleich aus zwei Richtungen in Unsicherheit: vonseiten der Kriminellen und jener der Behörden. Nur wenn sie ein bedingungsloses Bleiberecht garantiert bekommen, verlieren sie die Angst vor Beratungsstellen und Behörden. Menschen in der Sexarbeit hingegen profitieren etwa von Bildungsangeboten, Beratungen, Bleiberechtsregelungen oder Antidiskriminierungsmaßnahmen. Nur wenn sie Rechte haben und diese auch kennen, keine Angst vor Stigmatisierung haben müssen, werden sie sich wirksam gegen Druck und Gewalt in ihrer Beschäftigung wehren können. Und nur Frauen, die gelernt haben, mit ihrer Sexualität souverän umzugehen, dabei nicht durch die Gesellschaft beschränkt und bevormundet werden, können ihre Geschäftsbeziehungen in der Sexarbeit selbstbewusst gestalten. Eine Stärkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts wäre ein „Prostituiertenschutzgesetz“, das diesen Namen auch wirklich verdient.
Cornelia Möhring ist stellvertretende Vorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE
Infokasten
WAS SAGEN DIE SEXARBEITERINNEN?
Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e. V. (BSD) ist der Berufsverband für bodellartige Betriebe aller Art und für SexarbeiterInnen in Deutschland. Seit 2002 vertritt er die Interessen der Mitglieder. Der Verband lehnt den Gesetzesentwurf ab.
Gründe: Das Gesetz wird „dem Schutz der Prostituierten“ nicht gerecht. Es ist ein rigides, bürokratisches und polizeiliches Kontrollgesetz. Es geht weit über die Prostitution und ihre Akteure hinaus. Es greift in das Persönlichkeitsrecht, den Datenschutz, die Grundrechte, Arbeitsrechte und in das Gewerberecht ein. Stigmatisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung der SexarbeiterInnen werden mit dem Gesetz verstärkt.
Forderung: Wir fordern Respekt, Rechte, Rechtssicherheit für alle Beteiligten in der Prostitutionbranche, deren Empowerment, Professionalisierung und einen offenen Umgang mit Sexualität, die dem Anspruch einer toleranten, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Gesellschaft entspricht.
Der BSD erarbeitete einen eigenen Gesetzentwurf.
Mehr unter: www.bsd-ev.info/publikationen/index.php