Zum Hauptinhalt springen

Prinzipienfest und bodenständig

Von Dagmar Enkelmann, erschienen in Clara, Ausgabe 28,

Zweimal hätte Dagmar Enkelmann Ministerin werden können, zweimal lehnte sie ab. Statt einer gepanzerten Dienstlimousine fährt sie weiterhin einen roten Kleinwagen, denn sie ist eine Politikerin mit Grundsätzen

Beim ersten Mal, im Jahr 2004, wäre Dagmar Enkelmann beinahe stellvertretende Ministerpräsidentin von Brandenburg geworden. Als Spitzenkandidatin der PDS zur Landtagswahl hatte sie maßgeblich zum Rekordergebnis von 28 Prozent der Stimmen beigetragen. Es war die Hochphase der Proteste gegen Hartz IV. Im Wahlkampf hatte die heute 56-Jährige diese Reform als Armut per Gesetz kritisiert, der sozialdemokratische Ministerpräsident Matthias Platzeck dagegen hatte sie verteidigt. Als die SPD sich in den Verhandlungen weigerte, eine Wohngeldregel zugunsten erwerbsloser Menschen auszulegen, beendete Dagmar Enkelmann die Gespräche. „Ich kann nicht plötzlich etwas anderes vertreten, nur weil ich jetzt in der Regierung bin“, sagt sie erklärend.

Beim zweiten Mal, fünf Jahre später, nachdem SPD und DIE LINKE bereits eine Koalition in Brandenburg vereinbart hatten, sollte Dagmar Enkelmann Umweltministerin werden. Auf den ersten Blick eine reizvolle Aufgabe, schließlich galt sie schon damals als engagierte Verfechterin einer umweltfreundlichen Energiewende. Doch der Koalitionsvertrag schrieb fest, dass Brandenburg mittelfristig an der Kohlekraft festhält. Mehr noch: Die Verpressung von Kohlendioxid in Brandenburgs Böden sollte erprobt werden. „Auf dieser Grundlage waren leider keine nachhaltigen, langfristigen Veränderungen möglich“, sagt sie. Sie habe die Anfrage für das Amt ablehnen müssen.

Es sind Erfahrungen wie diese, die Dagmar Enkelmann glaubwürdig klingen lassen, wenn sie sagt: „Manchmal verändert man Politik stärker aus der Opposition heraus.“ Sie verweist dann gern auf die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, die selbst von Teilen der Gewerkschaften belächelt worden sei, als DIE LINKE sie vor mehr als zehn Jahren erstmals aufstellte. Oder sie erwähnt eine der erfolgreichsten Bürgerinitiativen der vergangenen Jahre: das Volksbegehren für ein Nachtflugverbot am geplanten Großflughafen BER – eine Auseinandersetzung, die zeitweise auch DIE LINKE entzweite.

Mit diesem Volksbegehren wollten zahlreiche Initiativen erreichen, dass am neuen Flughafen von 22 bis 6 Uhr keine Flugzeuge starten und landen dürfen. Dagmar Enkelmann, die sich stets für mehr Lärmschutz für die Anwohnerinnen und Anwohner eingesetzt hatte, unterschrieb im Sommer des vergangenen Jahres öffentlichkeitswirksam das Volksbegehren. Die Landesregierung und Teile ihrer eigenen Partei waren nicht begeistert. Erst als die Initiativen auf einen Erfolg hoffen durften, weil mehr als 150?000 Unterschriften gesammelt worden waren, ging die Regierung auf die Forderung nach einem Nachtflugverbot ein.

„Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann stehe ich dazu“, sagt Dagmar Enkelmann, „sonst könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen.“ Dass sie sich gegen Kohlekraft und für ein Nachtflugverbot einsetzt, liegt daran, dass Dagmar Enkelmann sich jahrelang mit Umwelt- und Verkehrspolitik befasst hat. Es liegt aber auch daran, dass sie ihren Wahlkreis liebt und es genießt, sich um die Belange der dortigen Bevölkerung kümmern zu dürfen.

Lokalpolitik auch im Bundestag

Der Wahlkreis Märkisch-Oderland – Barnim II iegt im Nordosten Brandenburgs. Er umfasst Städte wie Seelow und Bad Freienwalde sowie viel Wald und Ackerland. Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren hat Dagmar Enkelmann diesen Wahlkreis mit 37 Prozent der Erststimmen gewonnen. In Strausberg, einer der größten Städte der Gegend, ist sie aufgewachsen, in Bernau sitzt sie seit Jahren im Stadtparlament.

Die Lokalpolitik lässt sie selbst dann nicht los, wenn sie in Sitzungswochen des Deutschen Bundestags in Berlin weilt. Dort ist sie als Parlamentarische Geschäftsführerin für den reibungslosen Ablauf der Plenarsitzungen verantwortlich, sitzt in zahl-reichen Gremien und kümmert sich um den Kontakt zur Hauptstadtpresse.

Bei einem von vielen Medienterminen im März fragen die Journalisten zunächst nach der sogenannten Euro-Rettung. Dagmar Enkelmann antwortet souverän und faktenkundig. Sehr lebhaft wird sie allerdings erst, als es um die Energiewende geht. „In Bernau haben wir die Stromnetze, die jahrelang von EON.Edis betrieben wurden, wieder den kommunalen Stadtwerken übertragen“, erzählt sie stolz. „Das rechnet sich auf Dauer auch für die Bürgerinnen und Bürger.“
Die Arbeit in ihrem Wahlkreis bildet das Kontrastprogramm zum parlamentarischen Alltag. Hier begegnet sie Bürgerinnen und Bürgern, besucht Betriebe und veranstaltet Gesprächsrunden. In ihren beiden Wahlkreisbüros hält sie Sprechstunden ab, lädt zu Diskussionsveranstaltungen. Sie stellt hier Kunst aus und organisiert Beratungen für Menschen in Not. Auch lokale Initiativen und Bürgerbewegungen sind in den Räumen herzlich willkommen. „Ich bin eine von hier. Und ich will aktive Arbeit vor Ort leisten.“ – Das ist ihr Wahlspruch.

Für Dagmar Enkelmann gehören alle Ebenen der Politik zusammen. In ihrem Wahlkreisbüro in Strausberg befinden sich auch die Räumlichkeiten der Landtagsabgeordneten Kerstin Kaiser, der Fraktion DIE LINKE im Kreistag Märkisch-Oderland und der Fraktion in der Strausberger Stadtverordnetenversammlung. Als Stadtverordnete im benachbarten Bernau widmet sie sich mit derselben Ernsthaftigkeit der Arbeit des Seniorenbeirats und dem Zustand des örtlichen Sportplatzes, mit der sie sich als Bundestagsabgeordnete um das Finanzmarktstabilisierungsgesetz kümmert.

Dagmar Enkelmann ist eine Politikerin, die sich nicht dauernd selbst reden hören muss, wie ein Frühstücksempfang Anfang März in ihrem Wahlkreisbüro belegt. Die Ansprache anlässlich des Internationalen Frauentags halten ihre Mitarbeiter und die Fotografin, deren Ausstellung an diesem Tag eröffnet wird. Dagmar Enkelmann sitzt zwischen älteren Damen und Herren, schenkt Kaffee nach, reicht Brötchen und Aufschnitt und hört zu.

Direkt und kontaktfreudig

Später fährt sie mit einem roten Pkw in das Städtchen Wriezen, um auf dem Marktplatz rote Rosen an Passantinnen zu verteilen. Ein älterer Herr spricht sie an, er ist jüngst zum Bürgermeister einer kleinen Ortschaft in der Umgebung gewählt worden. Nun bittet er um einen Termin für ein Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten. Dagmar Enkelmann willigt sofort ein. Dann erkundigt sie sich nach seinen ersten Erfahrungen im neuen Amt und bietet Unterstützung an, sollte er welche benötigen. Anschließend schaut sie vor Ort im Gemüseladen, in der Backstube, der Fleischerei, beim Tabakhändler vorbei.

Dagmar Enkelmann ist direkt und kontaktfreudig. Sie besitzt die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, ohne dabei die Distanz zu verlieren. Spaziert sie durch die Ortschaften ihres Wahlkreises, wird sie oft erkannt, gegrüßt. Schließlich engagiert sie sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert in der Politik: Sie war Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR, Anfang der 1990er Jahre wurde sie in Bonn zur „Miss Bundestag“ gewählt. Sie hat die Gründung der Partei DIE LINKE geprägt und sitzt seit Kurzem der Rosa-Luxemburg-Stiftung vor.

Auf ein freundliches Wort folgen häufig ein verbindlicher Handschlag und eine kurze Unterhaltung. Manchmal scheint es, als reagierten die Menschen auf Dagmar Enkelmann wie auf eine entfernte, aber sehr gemochte Verwandte: freudig, überrascht und mit ein wenig schüchterner Zuneigung.

Am 22. September 2013 kandidiert Dagmar Enkelmann erneut im Wahlkreis Märkisch-Oderland – Barnim II zum Deutschen Bundestag. „Wir werden kämpfen, und wir werden gewinnen“, sagt einer ihrer Mitarbeiter. Und Dagmar Enkelmann versichert: „Ich werde auch in Zukunft meinen Überzeugungen und Wahlversprechen treu bleiben.“