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Prävention statt Kriminalisierung: Drogenmissbrauch vorbeugen, Abhängigen helfen

Von Martina Bunge, Frank Tempel,

Liebe Leserin, lieber Leser,

die derzeitige nationale und internationale Politik versucht, durch Verbote und Verfolgung die drogenbezogenen Probleme von Todesfällen bis zu Beschaffungskriminalität einzudämmen. Dieses Ziel wurde in fast einhundert Jahren Repressionspolitik weit verfehlt. Daher müssen wir endlich offen und ohne Vorurteile über neue Wege in der Drogenpolitik nachdenken.

Eine moderne Drogenpolitik muss durch Prävention Drogenmissbrauch vorbeugen, die gesundheitlichen Probleme von Konsumierenden minimieren und die organisierte Kriminalität effektiv bekämpfen. Der Gebrauch von Drogen ist nicht zuletzt ein Spiegel der Gesellschaft. Ständig wachsende und zunehmend entfremdete Anforderungen beispielsweise durch Arbeit, drohende und tatsächliche Arbeitslosigkeit oder in der Schule führen zu Überforderung. Drogen ermöglichen deren scheinbare Bewältigung durch Realitätsflucht oder Leistungssteigerung. Wirksame Drogenprävention ist daher Teil einer Politik, die für menschliche Lebensbedingungen sorgt, die Ressourcen der Menschen stärkt und ihnen ermöglicht, selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten. Diese Politik stellt die Menschen in den Mittelpunkt. An dieser Stelle möchten wir Sie über unsere Ansätze für eine fortschrittliche Drogenpolitik, insbesondere hinsichtlich heute illegaler Substanzen, informieren.

Mit solidarischen Grüßen

Frank Tempel
Drogenpolitischer Sprecher

Martina Bunge
Gesundheitspolitische Sprecherin

 

Aus Fehlern lernen

Unbelehrbar setzt die Bundesregierung auf repressive Bekämpfung des Konsums, statt auf Prävention und Hilfe. Jährlich werden bis zu 6,2 Milliarden Euro an Steuermitteln für die »Drogenbekämpfung« ausgegeben, der größte Teil davon für Strafverfolgung und -vollzug. Etwa 30 Prozent der Gefängnisinsassinnen und -insassen sind wegen drogenbezogener Delikte inhaftiert. Die Bundesregierung betreibt mit ihrer Politik konsequent Realitätsverleugnung. Die Milliarden haben nicht zu einem Rückgang des Drogenkonsums geführt. Nicht nur Konsumentenverbände, sondern auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Polizei, Medizin und Beratungspraxis fordern einen Neuanfang in der Drogenpolitik.

In verschiedenen Ländern, die einen liberaleren Weg in der Drogenpolitik gegangen sind, hat sich der Konsum entgegen allen Befürchtungen nicht erhöht. Stattdessen sind die drogenbezogenen Probleme teils drastisch gesunken. In Deutschland zeigt vor allem der Cannabis-Konsum einen deutlichen Abwärts-Trend. Bemerkenswert, denn Cannabis ist die einzige illegale Substanz, die eine gewisse Entkriminalisierung 
erfahren hat.

 

Der Drogenkrieg hilft vor allem der Mafia

Der »Krieg gegen Drogen« führt in allen Teilen der Welt zu humanitären Katastrophen. Allein in Mexiko sind 40 000 Menschen Opfer des Drogenkrieges geworden, während mexikanische Drogenbosse laut Forbes-Magazin zu den reichsten Menschen der Welt zählen. Der Drogenkrieg trifft nicht die Drogenmafia und reduziert auch nicht den Verbrauch. Mit der Verweigerung der deutschen Regierung, die Verbotspolitik zu überdenken, trägt sie eine Mitschuld an dieser Entwicklung. Mehr noch: Unter dem von der Bundeswehr gestützten Herrschaftssystem in Afghanistan werden inzwischen 92 Prozent der weltweiten Opiummenge produziert.

Ein erheblicher Teil der drogenbezogenen Probleme ist vor allem Folge der Illegalität selbst: Die organisierte Kriminalität in aller Welt finanziert sich über den Drogenhandel. Gestreckte oder verunreinigte Drogen stellen eine erhebliche zusätzliche Gesundheitsgefahr für Konsumierende dar. Abhängige werden zum Spielball der Drogenmafia. Beschaffungskriminalität und -prostitution sind die Folgen. Der Schwarzmarkt wird überschwemmt von neuen, unbekannten Drogen. Die Kriminalisierung der Konsumierenden verhindert eine effektive Aufklärungsarbeit. Fazit: Das Verbot der Substanzen selbst ist es, das den Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität und den Versuch einer Risikoreduktion für abhängige wie nichtabhängige Konsumierende zum Scheitern verurteilt.

 

Eine akzeptierende Drogenpolitik ist längst überfällig

Unser Ziel ist es, problematischen Drogenkonsum zu reduzieren und abhängigen wie nicht abhängigen Konsumierenden zu helfen. Das Verbot von Drogen hat sich hierfür als nicht hilfreich erwiesen. Wir wollen stattdessen in einem ersten Schritt Konsumierende sogenannter »harter« Drogen entkriminalisieren. Abhängige sind in erster Linie kranke Menschen, die Hilfe benötigen und diese in der Regel auch wollen.

Trotz gewisser Lockerungen bei der Strafverfolgung ist Cannabis nach wie vor verboten. Dabei ist es nicht schädlicher als zum Beispiel Alkohol. Die momentane Gleichstellung mit Substanzen wie Opium oder Heroin ist überholt. Wir wollen 
den Eigenanbau von Cannabis erlauben. Konsumierende können sich durch den Eigenanbau auch vor Verunreinigungen und gefährlichen Streckmitteln schützen. Dieser Eigenanbau soll auch an fachkundige Personen delegiert werden können (in sogenannten Cannabis-Clubs), wie es sie bereits unter anderem in Spanien gibt. Eine Vermarktung von Rauschstoffen insbesondere über Werbung, die vor allem Umsatzsteigerung zum Ziel hat, lehnen wir dagegen ab. Menschen, die sich mit oder ohne Verbot für Drogenkonsum entschieden haben, sollten nicht im Stich gelassen werden. Wir befürworten alle Projekte, die das Risiko des Drogenkonsums verringern und Aufklärungsarbeit ermöglichen. Das Analysieren von Drogen hinsichtlich ihrer Qualität (Drug-Checking) stellt eine effektive Möglichkeit dar, Konsumierende vor unbeabsichtigten gesundheitlichen Gefahren durch verunreinigte Stoffe zu warnen. Zudem hat die Erfahrung gezeigt, dass Gelegenheitskonsumierende, zum Beispiel vor Techno-Partys, nur so mit Beratungsangeboten erreicht werden können. Zahlreiche internationale Projekte beweisen, dass sich der Konsum durch das Testen nicht erhöht. Es hat sich aber gezeigt, dass sich Menschen, die dieses Angebot der Drogenanalyse in Anspruch nehmen, risikobewusster verhalten. Eine gute Drogenpolitik beinhaltet zuallererst Prävention inklusive guter Information vor Ort und Risikoreduktion. Therapieangebote müssen intensiviert und Möglichkeiten zur Substitution (Therapie mit Ersatzstoffen) verbessert und ausgeweitet werden. Auch Abhängige, denen es nicht gelingt, sich von ihrer Sucht zu lösen, haben ein Recht auf Teilhabe und ein menschenwürdiges Leben.

Langfristig benötigen wir in Deutschland einen kontrollierten Vertriebsweg und eine staatliche Abgabe für die sogenannten »harten« Drogen. Ein Verbot von Drogen kann nicht mehr begründet werden, wenn von ihrem Konsum für andere Menschen und für die Gesellschaft nicht mehr Gefahr ausgeht als von Alkoholkonsum oder von anderen ungesunden Lebensweisen. Wir brauchen mehr Toleranz für Menschen, die einen maßvollen Genuss von Drogen als Gewinn betrachten.

Drogenpolitik allein wird den problematischen Drogenkonsum nicht verhindern können. Entscheidend ist eine Gesamtpolitik, die den Bedürfnissen der Menschen folgt und ihnen ermöglicht, ihr Leben und ihre Umwelt selbstbestimmt zu gestalten.