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Positiv zusammenleben

erschienen in Lotta, Ausgabe 8,

Seit 1988 ist der 1. Dezember der Welt-Aids-Tag. Er ist der wichtigste Aktions- und Gedenktag rund um HIV und Aids. Für die Berliner Krankenschwester Inge Banczyk ist jeder Tag eine Art „Aktionstag“. Sie betreut seit 1987 HIV-Patienten.

Denken wir uns fast 30 Jahre zurück. Die Krankheit, über die man damals noch so wenig wusste, hatte Berlin erreicht. Wie sind Sie als Krankenschwester damit konfrontiert worden?

Inge Banczyk: Ich habe 1987 in der Hauskrankenpflege gearbeitet, in der Sozialstation in Berlin-Kreuzberg. Da wurden wir gefragt, ob wir aidskranke Menschen zu Hause betreuen würden. Das haben sich zu dem Zeitpunkt nur ganz wenige getraut. Denn es gab diese wahnsinnige Ansteckungsgefahr, aber auch so wenig Wissen. Ich hab gesagt, ich mach das.

Warum?

In meiner Ausbildung hatte ich gelernt, Krankenschwester und Ärzte müssen auch Menschen behandeln und begleiten, die für sie persönlich vielleicht ein Infektionsrisiko darstellen könnten. Das war bei der Pest so, bei der Cholera oder jetzt bei Ebola. Wir sind für solche schwer erkrankten Menschen genauso da, nicht nur für Beinbrüche oder Blinddarmentzündungen.

Wie war die erste Begegnung mit dem ersten Patienten?

Ich hatte totale Angst. Der war so froh, dass jemand kam, kochte Kaffee und wollte reden. Und ich saß da und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her und suchte nach blöden Ausreden, warum ich den Kaffee nicht trinken will. Er sagte dann – das werde ich nie vergessen –, wenn du mich betreuen willst, dann brauchen wir Ehrlichkeit. Sag einfach, du hast Angst, das verletzt mich zwar, aber damit kann ich leben. Was du jetzt gerade machst, ist gemein. Schlaf drüber, lass uns morgen reden. Dieser Mensch hat mich auf den Weg gebracht, das war toll.

Die Diagnose  Aids kam damals einem Todesurteil gleich. Haben Sie viele Menschen begleitet?

Sehr viele. Zunächst in den Jahren in der Sozialstation, dann bin ich in die USA gegangen. Ich habe ehrenamtlich in dem Selbsthilfeprojekt Shanti in San Francisco gearbeitet und viel gelernt. Wir standen beispielsweise alle in einer Reihe. Der Coach forderte diejenigen auf, die keine weiße Hautfarbe hatten, zur Seite zu gehen. Danach diejenigen, die nicht legal im Land waren. Dann diejenigen, die keinen festen Job hatten. Wir mussten also immer hin und her gehen. Nur ich nicht. Ich war die Einzige, die stehen bleiben konnte. Ich hatte ein Elternhaus, war freiwillig in den USA, hatte einen festen Job. Eine Frau kam danach auf mich zu und meinte, sie hätte mich hauen können. „Du hast alles auf dieser Welt, ist dir das überhaupt klar?“ Da habe ich ein tiefes Gefühl entwickelt, wie privilegiert ich bin.

Aber wurde die Pflege aidskranker Menschen auch als Privileg angesehen oder wurde man ähnlich ausgegrenzt wie die Patienten?

Ich selbst habe nie Anfeindungen erlebt. Ich habe aber auch keine Kinder, keine Familie. Aber es gab jedoch viele Kollegen und Kolleginnen, da machte die Familie Druck. Etliche sind deshalb auch gegangen.

Sie sind geblieben, bis heute. Was hat die Arbeit mit Ihnen gemacht?

Sie hat mir Zuneigung gebracht, von allen, denen wir geholfen haben. Es gab so viel Anerkennung, so viel Lachen, natürlich auch Tränen und Leid. Aber alles zusammen trägt mich. Als ich 1993 im Auguste-Viktoria--Klinikum auf einer speziellen HIV-Station zu arbeiten begann, starben ja noch fast alle. Oft waren junge Menschen darunter. Wir haben trotzdem Partys gefeiert, gelacht und geweint. Das war eine so bewegende Zeit. Jetzt bin ich froh, dass es Medikamente gibt, dass Menschen mit HIV gut leben und alt werden können.

Sie arbeiten auch in der Ukraine als Krankenschwester. Wie kam es dazu?

Eigentlich zufällig. Wir hatten einen Arzt aus der Ukraine bei uns zu Gast und sollten für sein Krankenhaus Standards für die Schmerztherapie entwickeln. Er sagte immer nur, gibt es nicht, haben wir nicht. Und ich dachte, das kann einfach nicht sein, die Ukraine gehörte doch mal zur Sowjetunion, die hatten ein funktionierendes Gesundheitssystem. Er hat mich dann eingeladen nach Odessa und ich war geschockt. Das ist mittlerweile zehn Jahre her. Es gab keine Medikamente, die Leute wurden diskriminiert, auch die Armut, die ich gesehen habe, es war furchtbar.

Und nach dem Schock?

Habe ich die ukrainische Caritas kennengelernt. Die hatten schon immer ein Hausbetreuungskonzept für ehemalige Zwangsarbeiter und wollten jetzt Ähnliches für HIV-Kranke aufbauen. Sie haben mich gebeten, Schwestern für die Hauskrankenpflege auszubilden.

Wo war das genau?

In Odessa, in der Westukraine, in Donezk. Dort lernten wir den Chefarzt der HIV-Klinik kennen und zusammen mit der Berliner Klinik und dem Klinikum in Bonn haben wir eine Kooperation aufgebaut. Einen wirklich guten Austausch von Ärzten hier und dort. Und ich habe vor Ort mit den Schwestern gearbeitet.

Funktioniert das jetzt auch noch?

Wir haben keinerlei Kontakte zu unseren Kollegen im Donezk. Wir erreichen sie nicht. Wir wissen nicht, wo sie sindob es die Klinik überhaupt noch gibt. Wir machen uns große Sorgen. Was noch klappt, ist die Zusammenarbeit mit der Caritas Ukraine. Im November bin ich wieder zur Schwesternausbildung dort, aber eben nur in der Westukraine.

Odessa, die Krim, da zählen jetzt auch die russischen Gesetze. Was bedeutet das für die HIV-Projekte?

Das ist schlimm. Wenn die Patienten keinen Zugang zu Medikamenten mehr haben, steigen Viruslast und Ansteckungsgefahr wieder an. Es wird Neuinfektionen geben. Die Ukraine hatte auch gute Programme für Drogenabhängige aufgelegt. Das ist alles nicht mehr möglich, weil es keinen Zugang in die Ostukraine gibt. Auch auf der Krim gibt es inzwischen keine Ersatzdrogenprogramme mehr. Putin sagt, das braucht Russland nicht.

 

Das Gespräch führte Gisela Zimmer