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Nichts auf die lange Bank schieben

erschienen in Klar, Ausgabe 46,

39090 Wählerinnen und Wähler haben sich gesagt: Den Mann schicken wir nach Berlin, dem vertrauen wir, der macht da was für uns. Vielleicht hängt dieser Zuspruch auch damit zusammen, dass sich Sören Pellmann schon in der Lokalpolitik einen guten Namen gemacht hatte. Seit 2009 ist er Mitglied der Linksfraktion im Stadtrat Leipzig, seit 2012 deren Vorsitzender. Er ist in Leipzig-Grünau groß geworden, kennt dort jeden Pflasterstein. In den 1980er Jahren mit Fernheizung, Warmwasser aus der Wand, Müllschlucker und Fahrstuhl für viele eine begehrte Adresse, gilt die Plattensiedlung heute als sozialer Brennpunkt. Die Mieten sind dort noch vergleichsweise niedrig, die Arbeitslosenzahlen hoch, jeder Dritte – darunter viele Migranten – ist Empfänger von Sozialleistungen.

Die Gegend um die Stuttgarter Allee wird von den Behörden als »gefährlicher Ort« eingestuft. Genau dort hat Sören Pellmann sein Wahlkreisbüro. Die Fassade wurde gerade erst wieder mit Hassparolen gegen Antifaschisten beschmiert, sein Auto komplett abgefackelt. Und trotzdem oder gerade deshalb ist Sören Pellmann präsent, bemüht sich um Verständigung und sucht nach Lösungen. Gemeinsam mit der städtischen Wohnungsbaugenossenschaft hat die Linksfraktion im Stadtrat zum Beispiel den Einsatz von »sozialen Hausmeistern« ins Leben gerufen. Die sind nicht nur da, wenn der Wasserhahn tropft, sondern helfen auch mal beim Ausfüllen von Formularen oder schlichten Streitigkeiten. Eine Idee, die sich als so gut erwiesen hat, dass sie inzwischen auch von anderen Großvermietern aufgegriffen wird.

Sören Pellmann hat seine Stadt auch als Bundestagsabgeordneter nicht aus dem Blick verloren. Als Mitglied im Sportausschuss macht er seinen Einfluss auf Entscheidungen zur Sportförderung geltend, die für Leipzig ein großes Thema ist. Im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ist er mitverantwortlich dafür, dass seine Heimatstadt 25 Millionen Euro aus dem Digitalpakt bekommt.

Als Sprecher für Inklusion und Teilhabe in der Bundestagsfraktion hat er sich gerade erfolgreich für ein ganz großes Ziel stark gemacht, das nicht nur den Menschen in seinem Wahlkreis, sondern insgesamt weit über 80000 Menschen zugutekommt: die Abschaffung einer Klausel, die Behinderte von ihrem Recht ausschließt, sich an Wahlen zu beteiligen. Obwohl sich die Große Koalition im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet hatte, wurde eine Entscheidung zum inklusiven Wahlrecht immer wieder verzögert. Nach ihren Vorstellungen sollte erst am 1. Juli 2019, also gut einen Monat nach der Europawahl, ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten. Was ganz skurrile Folgen gehabt hätte: In Brandenburg zum Beispiel ist die Ausschlussklausel aufgehoben, da dürfen die Betroffenen bei der Kommunalwahl ihre Stimmen abgeben, bei der gleichzeitig stattfindenden Europawahl jedoch nicht. Etwas auf die lange Bank schieben ist nicht Sören Pellmanns Ding. Am 15. März 2019 appellierte er im Bundestag noch einmal an die Regierungsparteien, das Wahlrecht für alle zu ermöglichen. Vergeblich. Deshalb zog er mit einem Eilantrag vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Grüne und FDP schlossen sich an. Am 15. April entschied das Gericht im Sinne der Betroffenen, und am 17. Mai beschloss der Bundestag endlich auch das Gesetz.

In Leipzig-Grünau hat auch die AfD bei der Bundestagswahl sehr viele Stimmen bekommen. Sören Pellmann kämpft für eine bunte, solidarische Gesellschaft. Immer wieder sucht er das Gespräch. Zum Beispiel bei seinen Bürgerforen im Grünauer offenen Freizeittreff, dessen Name für ihn Programm ist: Völkerfreundschaft.

Tatjana Behrend

 

Infokasten

Hohes Alter, niedrige Einkommen

• Der Stadtteil Grünau liegt westlich von Leipzig, wurde 1976 erbaut. Damals die größte Neubausiedlung im deutschsprachigen Raum.
• Mit 36000 Wohnungen für maximal 100000 Menschen war Leipzig-Grünau als eigene Stadt geplant.
• Zur Wendezeit lebten 85000 Einwohner dort.Es gab eine gute Infrastruktur: Schulen, Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten, viele Grünflächen.
• Seit 1990 halbierte sich die Einwohnerzahl, teilweise standen bis zu 80 Prozent der Wohnungen leer – die Stadt begann mit »Rückbaumaßnahmen«.
• Der Altersdurchschnitt heute ist hoch, die Einkommen sind niedrig. Zugezogen sind viele Migranten mit ihren Familien.
• Beziehen in Leipzig durchschnittlich 14,2 Prozent der Einwohner unter 65 Jahren Hartz- IV-Leistungen, sind es in Leipzig-Grünau 38 Prozent.