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Mit der Mafia gegen Rassismus

erschienen in Klar, Ausgabe 35,

Esther Bejarano ist eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz. Seit einigen Jahren macht die heute 90-Jährige zusammen mit der Kölner HipHop-Band Microphone Mafia Musik. Klar hat sie und Kutlu Yurtseven von der Microphone Mafia getroffen.

Was haben Sie gedacht, als die Microphone Mafia im Jahr 2009 eine CD mit Ihnen machen wollte?

Esther Bejarano: Ich habe mich erschreckt, als Kutlu anrief und sagte: »Hallo, hier ist die Microphone Mafia.« Ich hab geantwortet: »Mit der Mafia will ich nichts zu tun haben.«

Trotzdem haben Sie sich auf das Experiment eingelassen.

Bejarano: Ja, nachdem ich gehört hatte, dass es um eine antifaschistische CD geht, die auf Schulhöfen verteilt wird, um Nazi-CDs etwas entgegenzusetzen. Ich war begeistert, weil Rappen sehr modern ist und sich so Jugendliche dafür gewinnen lassen, meine Geschichte zu hören.

Politischer HipHop ist das Markenzeichen von Microphone Mafia. War das immer so?

Kutlu Yurtseven: Am Anfang waren wir gegen Rassismus, aber keine politische Band. Unsere Entwicklung dazu begann im Jahr 2000 mit einem Konzert in einem linken Zentrum - vor lauter Punks. Wir haben da Menschen getroffen, die mit uns diskutiert haben. Auch über unsere Fehler. Das war unser Glück. Dann kam Kanak Attak, eine Organisation von Journalisten und Künstlern aus Migrantenfamilien. Sie haben Migrationsgeschichte aus ihrer eigenen Sicht erzählt. So erfuhren wir viel über uns selbst und über unsere Eltern. Die waren lange für uns nur Ja-Sager. Das hat bei uns einen Wandel ausgelöst. So wurden unsere Musik und wir persönlich politisch. Heute ist das nicht mehr zu trennen.

Dennoch gibt es HipHop-Künstler, die nur auf Gangster-Rap setzen…

Yurtseven: Gangster-Rapper wollen CDs verkaufen, brauchen einen Weg, um Jugendliche anzusprechen. Aber trotzdem singen sie nicht nur Unsinn. Wenn sie sagen: Mein Viertel ist runtergekommen, hier schlagen sich die Leute für nichts die Köpfe ein, ist doch die Frage: Warum gibt es solche Viertel? Wo ist der Respekt hin? Das spiegelt sich in solchen Liedern. Solche Texte turnen Jugendliche vielleicht auch an. Aber sie sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn zum Beispiel ein Gangster-Rapper in seinen Texten sexistisch ist, ist das schlecht. Nur: Wenn ich im Fernsehen Sachen wie „Der Bachelor“ sehe, ist das viel sexistischer. Das macht in zwei Stunden 100 Jahre Emanzipationsgeschichte zunichte.

Was verbindet Esther Bejarano und Microphone Mafia musikalisch?

Bejarano: Die Rapper schreiben wunderbare Texte, die sich auf meine Lieder beziehen. Die Mehrheit sind politische Lieder, einige sind in Jiddisch und eher folkloreartig. Für mich ist sehr wichtig, dass wir den Menschen zeigen können: Bei uns stehen drei Generationen und drei Religionen auf der Bühne. Bei einigen Menschen gibt es noch immer Ausländerhass. Das muss man bekämpfen. Wir können zeigen, dass unterschiedliche Kulturen sehr gut zusammenarbeiten.

Yurtseven: Microphone Mafia haben immer auch Folklore-Elemente verarbeitet. Deshalb haben wir nie befürchtet, dass unsere Musik den Bejaranos nicht gefallen könnte. Nur Form und Texte waren sehr anders. Aber wir sind auf Menschen getroffen, die Lust haben, mit uns etwas auszuprobieren. Wenn jemand das mit damals 85, heute 90 Jahren macht, sieht man: Alter spielt keine Rolle. Die Kombination Bejaranos & Microphone Mafia ist nicht allein musikalisch, politisch oder menschlich zu verstehen. Das greift ineinander.

Sie arbeiten seit Langem gemeinsam gegen Neonazis. Gerade versuchen Rechtsradikale, mit der AfD und Pegida Boden zu gewinnen. Wie fühlt sich das an?

Bejarano: Das zeigt mir: Viele Menschen lernen nicht dazu. Aber viel mehr Menschen gehen gegen die schreckliche Pegida-Bewegung auf die Straße. Das gibt Hoffnung. Aber natürlich bin ich nicht glücklich, dass es immer noch Nazis gibt. Es wurde nicht genug aufgeklärt. Nach 1945 wurde alles verschwiegen. Der Holocaust war kein Thema.

Sie sind nach der Befreiung vom Faschismus nach Israel ausgewandert, aber später zurückgekehrt. Hat es Sie damals vor Deutschland gegraust?

Bejarano: Sehr sogar. Aber einerseits musste ich aus Israel aus gesundheitlichen Gründen weg. Andererseits ging es darum, dass mein Mann nicht mehr in den Krieg gegen die Palästinenser ziehen wollte. In ein anderes Land als Deutschland konnten wir nicht. Aber zurück in eine deutsche Stadt, in der ich mit meinen Eltern und Geschwistern gelebt hatte, das hätte ich nicht verkraftet.

Sie haben sich dann Hamburg ausgesucht.

Bejarano: Trotzdem ist es mir schwergefallen. Ich konnte lange nicht mit älteren Deutschen sprechen. Ich dachte ständig: »Vielleicht ist das der Mörder meiner Eltern oder meiner Schwester.« Wenn ich nicht so wunderbare Menschen, Antifaschisten und Widerstandskämpfer, kennengelernt hätte, könnte ich wohl nicht in Deutschland leben.

Kann man den Kampf gegen Rechtsradikale gewinnen?

Yurtseven: Echte Nazis erreichen wir nicht. Aber wir können verhindern, dass sie Jugendliche, die auf der Kippe stehen, geistig vergiften. Man muss diskussionsbereit bleiben, darf nicht mit dem Vorschlaghammer oder erhobenem Zeigefinger kommen.

Bejarano: Genau. Ich will verhindern, dass Jugendliche von diesen Nazis gekrallt werden. Nach Konzerten sagen Leute oft: »Ihr habt mir Mut gemacht. Ich will politisch arbeiten.« Und das ist für mich und die ganze Gruppe wunderbar.

Interview: Niels Holger Schmidt