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Mit dem Herzen dabei

erschienen in Clara, Ausgabe 13,

Tanja Behrend ist Koordinatorin des größten Arbeitskreises unserer Fraktion. Der vereint das pralle Leben in sich. Das riecht nach viel Arbeit - ist es auch.

In den vergangenen Wochen hat Tanja Behrend zweimal ihren Arbeitsplatz in Berlin mit dem Infomobil unserer Fraktion vertauscht, als das in Hamburg und Erfurt Station machte. Sie ist gern draußen unter Leuten, redet mit ihnen über Mindestlohn, Hartz IV, Rente mit 67, Finanzkrise und andere politische Dauerbrenner. Sie hört sich geduldig Alltagssorgen an, verteilt Publikationen und erklärt die Positionen der Linksfraktion. Das hat mal mehr, mal weniger Erfolg. Die Erwartungen an DIE LINKE sind enorm groß.

Im Jahr 2005 - nach der gewonnenen Bundestagswahl - wurde Tanja von der Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch gefragt, ob sie nicht Koordinatorin des von ihr geleiteten Arbeitskreises 1 werden wolle. Insgesamt gibt es in der Fraktion sechs Arbeitskreise und damit auch sechs Koordinationsstellen. Koordinatorin - was für ein sprödes Wort, wenn es um Menschen und um Inhalte linker Politik geht. Tanja Behrend gehört nicht zu jener Spezies, die bei Entscheidungen ewig lange das Für und Wider abwägt. Sie sieht zuerst das Reizvolle und dann die Schwierigkeiten einer Aufgabe. Die sagte ihr zu, obwohl sie nicht genau wusste, worauf sie sich eigentlich einließ. Der Arbeitskreis hat es in sich: Haushalts-, Energie-, Kommunal- und Verkehrspolitik, Landwirtschaft, Verbraucher-, Natur- und Umwelt-schutz, Tourismus, Ernährung, Stadtentwicklung und Ostdeutschland.

»Meine Aufgabe ist es, sowohl innerhalb des Arbeitskreises als auch arbeitskreisübergreifend Themenbereiche zu koordinieren. Das heißt, die Beteiligung der Abgeordneten an Parlamentarischen Initiativen abzusprechen, die Planung, wann ein Antrag ins Parlament eingebracht wird, mit der Parlamentarischen Geschäftsführung zu diskutieren und ständig den Kontakt zum Leiter des Vorstandsbüros zu halten.« Außerdem ist Tanjas Büro im zweiten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses der Umschlagplatz für Informationen aus den einzelnen Gremien bzw. Leitungsebenen in den Arbeitskreis und umgekehrt. Hinzu kommen Texte für Publikationen der Fraktion und darüber hinaus sowie diverse Veranstaltungen, die sie mit plant, organisiert und oft auch vor Ort unterstützt. Das klingt kompliziert - ist es nicht, wenn man die Abläufe im Schlaf beherrscht. Letzterer kommt oft zu kurz, denn Tanja ist auch Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Berlin-Lichtenberg. Das heißt zusätzlich an fünf Abenden im Monat Fraktions-, Ausschuss- und BVV-Sitzungen. Ihr scheint es nichts auszumachen. Tanja macht ihre Arbeit gern und vor allem mit Herzblut, auch wenn Stress oft ihr Begleiter ist.

»Mitunter ist es schwierig, Prioritäten zu setzen. Wenn gleichzeitig drei Dinge zu erledigen und alle drei natürlich unglaublich wichtig und furchtbar eilig sind.« Immer aber nimmt sie sich Zeit, wenn Jonathan, ihr jüngster Sohn, oder seine Schwester Anna anrufen, um ihr von der Schule oder vom Fußballtraining zu erzählen. Ein bisschen schlechtes Gewissen der Familie gegenüber schwingt mit, wenn sie sagt: »Niemand kann sich zerteilen. Das ist manchmal schwer. Aber im Zweifel habe ich immer Kollegen und meinen Mann, die mich unterstützen.«

Die Atmosphäre im Arbeitskreis 1 ist locker. Jeder weiß, worauf es ankommt und was er zu tun hat. Dafür sorgen sowohl die Chefin Gesine Lötzsch und deren Büro als auch die Koordinatorin, die für das Zusammenspiel aller im Team verantwortlich ist. Natürlich läuft nicht immer alles glatt. Wenn Tanja spürt, dass jemand unzuverlässig ist oder mehr für sich in Anspruch nimmt, als er gibt, kann sie sehr prinzipiell werden. Wenn gar ihr Gerechtigkeitssinn verletzt wird, lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf und erregt sich laut und unmissverständlich. Manchmal hilft es, manchmal nicht. Wiederholungstäter haben es nicht leicht mit ihr. Doch das ist eher selten. Meistens erträgt sie selbst schwie-rigste Situationen mit Humor. Der darf gern auch schwarz sein.

Viele, die Tanja Behrend schon lange kennen, sagen, sie habe sich in den vergangenen 20 Jahren kaum verändert. Tanja ist eben Tanja. Das klingt wie ein Label und nach Anerkennung. Die zupackende Redakteurin von der Öffentlichkeitsarbeit aus der Bundeszentrale der PDS arbeite zuverlässig in der zweiten Reihe und scheue sich vor keiner Arbeit. Ob Texte schreiben, Taschen mit Werbematerialien packen oder Veranstaltungen organisieren, sie ist eine, die den Laden in- und auswendig kennt, um keine Antwort verlegen ist und immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat.

Im Jahr 1974, einen Tag nach Abschluss ihrer Lehre als Steno-Phonotypistin, begann Tanja im ostdeutschen Satiremagazin »Eulenspiegel« zu arbeiten. Zunächst als Sekretärin, dann - nach einem Fernstudium der Kulturwissenschaft - als Redakteurin. Durch ihre Eltern - ihre Mutter schreibt noch heute die »Kino-Eule« - kannte sie viele der Mitarbeiter von Kindesbeinen an.

22 Jahre lang blieb sie beim »Eulenspiegel«. Später ist ihr bewusst geworden, dass sie dort unter einer Art politischer Käseglocke lebte. Durch Satire geschützt, die oft von der Staatsführung als exotisch betrachtet und oft nicht verstanden wurde, die aber andererseits den Lauf der Dinge auch nicht aufhalten konnte

André Brie holt Tanja 1997 ins Karl-Liebknecht-Haus. Sie genießt das Vertrauen, das er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entgegenbringt. Und bis heute betont sie immer wieder, wie viel sie von André Brie gelernt hat. Er wollte Politik immer »sinnlich erfahrbar« machen. Nicht hochakademisch, nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch, sichtbar und hörbar. Berühmt und berüchtigt sind Bries Aktionen, bei denen sehr oft Hubkräne eine tragende Rolle spielten. Zum Beispiel die Idee, auf das Dach des Palastes der Republik zu steigen und dort ein Transparent mit der Aufschrift »Stoppt den Palastabriss!« zu entrollen, oder die, an der Autobahn Richtung Rostock einen Windradmast mit einem Protest gegen den Krieg zu bekleben. Der Palast ist weg, die Friedensbotschaft ist seit vielen Jahren bis heute erhalten. Was Tanja mit André Brie auch verband, war das Ringen um eine verständliche, populäre Sprache in den Materialien der Partei. Was nützt die kühnste Idee, das überzeugendste Konzept, wenn man nicht verstanden wird?

Diese Erfahrungen, meint sie rückblickend über die vergangenen vier Jahre im Bundestag, haben ihr viel genützt. Nach wie vor geht sie gern auf die Straße, beteiligt sich an Aktionen, diskutiert mit Bürgerinnen und Bürgern. Eine, die mit dem Herzen sieht - das ist auch gut für die Fraktion.
Marion Heinrich