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»Menschen sind häufig billiger als Computer«

erschienen in Klar, Ausgabe 36,

Der Fachjournalist Jonas Rest über die neue »digitale Arbeiterklasse«, Minutenlöhner und Sekundenjobs

Wie haben Smartphones und Internet die Arbeitswelt verändert?   Jonas Rest: Diese Technologien machen es extrem einfach, Arbeit auszulagern. Arbeit, die vorher von Angestellten mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen erledigt wurde, wird nun über Internet-Plattformen abgewickelt. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass ein deutscher Energieversorger die Zählerstände seiner deutschen Kunden für Centbeträge in Indien eingeben lässt.   Für die »Berliner Zeitung« haben Sie die Auswirkungen der Digitalisierung in Deutschland recherchiert. Welches Phänomen hat Sie am meisten überrascht?   Wie stark Menschen als Ersatz für Computerprogramme eingesetzt werden. Bei Unternehmen wie Amazon oder Zalando fallen viele Aufgaben an, die nicht oder nur zu sehr hohen Kosten automatisiert erfüllt werden können: Kataloge sortieren, Ware klassifizieren oder Produktbeschreibungen texten. All diese Aufgaben werden zerlegt in Abermillionen Minijobs und über Internet-Plattformen erledigt.   Warum machen das nicht Computer?   Vielfach ist es billiger, Menschen anstelle von Computern einzusetzen! Auch in Deutschland ist dieses sogenannte Clickworking über Internet-Plattformen mittlerweile weit verbreitet.   Wie muss man sich die Arbeit eines Klickarbeiters vorstellen?   Die Menschen, die für solche Plattformen arbeiten, haben keine Arbeitsverträge. Sie sind »digitale Minutenlöhner«, die ausschließlich pro geleistete Aufgabe bezahlt werden. Wie viel sie verdienen, hängt davon ab, wie viele Aufträge sie machen. Als Selbstständige müssen sie sich selbst versichern. Bei Krankheit oder Urlaub bekommen sie kein Geld.    Laut IG Metall verrichten in Deutschland etwa eine Million Menschen solche Tätigkeiten. Sie haben mit vielen dieser Klickarbeiter gesprochen. Wie denken sie über ihre Jobs?   Viele sind froh, wenn sie abends oder zwischendurch mit zwei, drei Stunden Arbeit zehn Euro zusätzlich verdienen. Zum Beispiel eine alleinerziehende Frau, die, während das Kind schläft, arbeiten kann. Auch Schüler können sich so ihr Taschengeld aufbessern. Es gibt aber auch Leute, die das hauptberuflich machen. Viele von ihnen gehen ihrer Arbeit nach wie einem normalen Bürojob: Sie fangen um 9 Uhr an und klicken bis 17 Uhr Aufträge.   Kann man mit solch einem Job über die Runden kommen?   Ich habe niemanden getroffen, der oder die einen solchen Job dauerhaft machen möchte. Und ich glaube nicht, dass viele Klickarbeiter auf 8,50 Euro pro Stunde kommen. Das mag zwar vereinzelt passieren. Bei den meisten liegt der Stundenlohn jedoch deutlich darunter. Die Auftragslage ist manchmal so dünn, dass einige in dieser Zeit nicht mehr als einen Euro pro Stunde verdienen.   Wie organisiert sich diese neue »digitale Arbeiterklasse«?   In Deutschland gibt es bisher keine Interessenvertretung. In den USA ist das anders. Dort organisieren sich die Selbstständigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Deutschland eine ähnliche Entwicklung sehen werden.   Jonas Rest ist ein vielfach ausgezeichneter Journalist und arbeitet als Redakteur für die »Berliner Zeitung«.   Interview führte Ruben Lehnert