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Lotta Queer: Was bin ich und ab wann?

erschienen in Lotta, Ausgabe 7,

Den Namen und das Geschlecht ändern zu können, ist für viele Trans* Menschen die Eintrittskarte in die Gesellschaft. Aber selbst so einfache Dinge wie Briefe von  der Post abholen, per Bankkarte zu bezahlen oder das Einchecken am Flughafen sind mit Herabwürdigungen und Diskriminierungen verbunden. Die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrages – ein scheinbar einfacher,  administrativer Akt ist europaweit mit erheblichen Hürden belegt. In 21 Staaten verlangt der Gesetzgeber eine Sterilisation, in 19 Ländern eine Scheidung und fast alle verlangen die Diagnose einer sogenannten Geschlechtsidentitätsstörung. Erst danach können Namen und Geschlechtseintrag in Geburtsurkunde, Reisepass und anderen Dokumenten geändert werden. Selbstbestimmung sieht anders aus! Nach einer Studie der Lesbenberatung Berlin gaben 63 Prozent der teilnehmenden Trans* Menschen an, „dass es sie sehr belastet, dass ihr Trans*Sein als psychische Störung gilt“, für knapp 53 Prozent war das amtliche Verfahren zur Geschlechtsangleichung so beanspruchend, „dass ihr Lebensalltag darunter litt“.

Aber nicht nur der Gesetzgeber diskriminiert Trans* Menschen. Für viele Trans* Menschen sind Ausgrenzung und Gewalt Teil ihrer tagtäglichen Lebensrealität. Diejenigen, deren äußerer geschlechtlicher Ausdruck nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, erfahren die meiste Gewalt. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Trans Menschen. Auch Lesben und Schwule sind von Gewalt und Diskriminierung betroffen, wenn ihr wahrgenommes Geschlecht  nicht der gängigen gesellschaftlichen Erwartung  entspricht.

In einer europaweiten Studie zu Gewalterfahrungen von Trans* Menschen ist zu lesen, dass 79 Prozent der Befragten mit verbaler oder physischer Gewalt konfrontiert wurden. 

Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen. Wurde der Umgang mit Trans* Themen vor 15 Jahren noch maßgeblich von Medizinerinnen und Medizinern, Psychiaterinnen und Psychiatern unter weitgehendem Ausschluss der sogenannten Betroffenen diskutiert, so sind Trans* Rechte heute, zumindest auf europäischer Ebene, ein etabliertes Menschenrechtsthema. Trans* Menschen begehren auf gegen die Fremdbestimmung von Medizin, Gesellschaft und Gesetzgeber und werden zunehmend sichtbarer. In einigen Ländern Europas hat das bereits zu Verbesserungen der Rechtslage geführt: So verankerte Malta im April 2014 als erstes Land in Europa den Schutz vor Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in der Verfassung, Schweden, die Niederlande und Island bauten in den vergangenen zwei Jahren Hürden bei der Namens und Geschlechtseintragsänderung ab.

Und Deutschland? Im europäischen Vergleich belegt die Bundesrepublik bezüglich der Rechte von Trans*Menschen einen Platz im oberen Mittelfeld. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind Trans* Menschen über das Merkmal „sexuelle Identität“ zumindest mit gemeint und das Transsexuellen Gesetz (TSG)  erfuhr eine gewisse Liberalisierung. Zu verdanken haben Trans*Menschen dies jedoch nicht der Politik, sondern maßgeblich einem Verfassungsgericht, das die Würde des Menschen und sein Recht auf Selbstbestimmung auch für Trans*Menschen ernst nimmt. Bereits sechs Mal erklärte Karlsruhe die im TSG festgesetzten Normen für nicht anwendbar. So wurden der Zwang zur Scheidung, Sterilisation, geschlechtsangleichenden Operationen sowie das Mindestalter und die Aberkennung des Vornamens bei Heirat außer Kraft gesetzt. Eine umfassende Reform des Gesetzes  steht aber auch nach 34 Jahren noch aus.

Gegenwärtig dauert eine Änderung der Vornamen und des Geschlechtseintrages in Deutschland zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, benötigt eine externe Begutachtung durch zwei gerichtlich bestellte psychologische oder psychiatrische Gutacherinnen oder Gutachter. Seit Jahren fordern Trans* Menschen und ihre Verbände in Deutschland die bevormundende Gutachterpraxis abzuschaffen und das Verfahren zu vereinfachen. Als Teil der Intimsphäre ist die Geschlechtsidentität vor staatlichem Zugriff geschützt und das Recht auf ein Leben in Würde muss die Freiheit und Selbstbestimmtheit der eigenen Identität umfassen. Es ist an der Zeit, dass dies auch für Trans* Menschen in Deutschland umgesetzt wird.

Julia Ehrt, Executive Director Transgender Europe