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Lotta Queer: Der Mann, der auch Viola spielen kann

Von Harald Petzold, erschienen in Lotta, Ausgabe 10,

Für Harald Petzold ist Halbzeit. Als Bundestagsneuling kam er vor zwei Jahren in die Fraktion. Seitdem streitet er für die Rechte von LSBTTIQ*Menschen. Was hat er bewegt, was bewegt ihn?

Harald Petzold ist ein sportlicher Typ. Fast 1,90 Meter groß, es fehlt ein einziger Zentimeter. Und er ist ein musikalischer Mann. Musik zählt seit seinem siebten Lebensjahr zum Alltag und zur Ausbildung. Die begann am Konservatorium Cottbus und wurde nach dem Umzug der Eltern in Dresden fortgesetzt. „Eigentlich war die Trompete mein Wunschinstrument“, erzählt Petzold. Aber die „großen Hände, die langen Finger“ seien geradezu ideal für die Bratsche gewesen. Sagten die Lehrer damals. Für den Schüler Petzold war ohnehin nur eines wichtig: „Es sollte ein Instrument sein, das ich immer dabeihaben konnte.“ Das hat geklappt, das professionelle Spielen in einem Orchester auch, doch dazu später mehr.

Harald Petzold hat noch eine zweite Leidenschaft: die Politik. Vorgesehen war das nicht. Aber gerade hatte er das Studium als Diplomlehrer für Musik und Deutsch an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam absolviert und ein Forschungsstudium für Musikwissenschaften angefangen, änderte sich 1989 nicht nur das Land, sondern auch sein Lebensweg. Der Mann mit der Bratsche ging in die Politik, und sie lässt ihn seitdem auch nicht mehr los. Erste Station: der Brandenburger Landtag. Dort zog Harald Petzold 1990 als linker Abgeordneter ein. Neun Jahre lang arbeitete er als bildungspolitischer Sprecher. Parallel – weil sein Diplomabschluss unter den neuen Verhältnissen keine Anerkennung gefunden hätte – setzte sich Petzold erneut auf die „Schulbank“, machte noch einmal ein Lehramtsstudium, dieses Mal für politische Bildung. Nach dem Referendariat arbeitete er bis 2005 an der Immanuel Kant Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe in Falkensee. Dort bekam er einen Spitznamen. Man nannte ihn das „Reisebüro Petzold“. Lächelnd, denn sein Unterricht fand häufig „unterwegs“ statt, außerhalb der Schule, beim Orchester der Staatsoper, in den Werkstätten der Komischen Oper oder in den Rathäusern der Umgebung.

Der Pädagoge Petzold will nichts anderes als der Politiker Petzold: „Menschen sollen in die Lage versetzt werden, die Dinge selbst in die Hände zu nehmen. Egal, wie alt oder jung sie sind.“ Bei all seinen Unternehmungen trägt Harald Petzold sichtbar die Regenbogenfarbe  an seinem Jackett. Anfeindungen hat er nur selten erlebt.

Im Herbst 2013 wird Harald Petzold dann erstmals als Abgeordneter in den Bundestag gewählt. Das Hohe Haus allerding  kannte er längst, als Mitarbeiter. Beispielsweise als Büroleiter seiner jetzigen Fraktionskollegin Kirsten Tackmann oder al Ansprechpartner im Hintergrund seines jetzigen Fachbereichs, bei seiner Vorgängerin Barbara Höll, die seit den 90er Jahren bis zu ihrem Ausscheide  2013 die queerpolitische Sprecherin der Fraktion der PDS und später für DIE LINKE war. Bislang hat übrigens keine andere Fraktion im Bundestag einen so speziellen Fachpolitiker für die Gleichstellung von LSBTTIQ* benannt. Auch Bündnis 90/Die Grünen nicht.

Seine beiden ersten Parlamentsjahre seien „weg wie nichts“, sagt Petzold. Er sei „auch stinksauer, dass alles so lange dauert“. Aber Zorn „ändert noch nichts“. Also versucht er, Brücken zu bauen, Schritt für Schritt. Und so ist doch etliches möglich geworden. Zum Beispiel durch Öffentlichkeit eine Sensibilisierung für die Lebensprobleme von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und inter*Menschen zu erreichen. Darüber hinaus konnte die Rehabilitierung und Entschädigung von Menschen, die nach 1945 für  ihr Anderssein nach Paragraf 175 verfolgt und verurteilt wurden, in allen Fraktionen auf die Tagesordnung gesetzt werden. „Allein nicht mehr stigmatisiert und kriminalisiert zu sein“, so Petzold, wäre für die Betroffenen, inzwischen hochbetagt, ein spätes Glück. Dafür streitet er. Ein weiterer Erfolg: die über die Fraktionsgrenzen hinweg gebildete LSBTTIQ-Abgeordnetengruppe. Sie entstand erst in dieser Legislaturperiode und von CSU bis zur LINKEN arbeiten dort Abgeordnete aus allen Fraktionen zusammen.

Zu tun bleibt trotzdem noch reichlich. Harald Petzold wird in seiner angenehm sachlichen, ruhigen und klugen Art weiterstreiten für die Gleichstellung von LSBTTIQ*Menschen. Die Ehe für alle gehört dazu (siehe auch Seite 27), das volle Adoptionsrecht, ein besseres Asylrecht, Regenbogen-Bildungspläne in allen Bundesländern, Abbau von Trans*Diskriminierung, die Abschaffung frühkindlicher Operationen bei nicht eindeutigem Geschlecht und vieles mehr.

Das macht Petzold auf der politischen Bühne, in der Fraktion und im Parlament, und er macht es als leidenschaftlicher Musiker. Denn der Mann mit der Bratsche ist Mitglied bei concentus alius, dem deutschlandweit einzigen Homophilharmonischen Orchester. Gegründet wurde es 1999 in Berlin, vor über zehn Jahren erlebte Harald Petzold das Orchester während der Interkulturellen Woche in Rathenow und fragte an, ob er mitspielen dürfe. Seitdem macht er mit. Einmal die Woche proben die Frauen und Männer, mehrmals im Jahr gibt es öffentliche Auftritte. Benefizkonzerte für HIV-Erkrankte, den Hospizdienst Tauwerk, für die Organisation der Rechte von LSBTTIQ in Russland und Osteuropa und vieles andere mehr. Dieser „etwas andere  Zusammenklang“ sei eine „Oase, ein Ausgleich zum beinharten Politikalltag“. Dort holt sich der immer noch einzige queerpolitische Sprecher im Parlament innere Kraft und dieses Stückchen Schönheit, das nur die Kunst vermitteln kann.

 

 * LSBTTIQ – Lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen