Zum Hauptinhalt springen

Leuchtturm im Meer der Massenmedien

erschienen in Clara, Ausgabe 20,

Weil Unterhaltung in den Medien immer wichtiger wird als Information, sieht der ehemalige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Wolfgang Storz, den Staat gefordert.

Politik gibt es in einer Demokratie nicht ohne Öffentlichkeit. Diese wiederum gibt es bisher und bis auf Weiteres nicht ohne die klassischen Massenmedien, die sich in diesen Jahren grundlegend verändern. Von vielen Beispielen nur zwei, hier das erste: Da das Netz potenziell jedem Konsumenten erlaubt, Produzent zu werden, hat es ein phantastisches Demokratisierungspotenzial.

Zugleich kann – ich betone: kann – dieses Netz öffentliche Willensbildungsprozesse in egomanische Schwarmhysterie auflösen und damit demokratischer Politik schaden. Das zweite Beispiel: Weniger Medien als zuvor sind bereit, Dienstleister dieser Demokratie zu sein. Dienstleister sein heißt: Über bedeutsame Ereignisse auch dann solide und prominent informieren und orientieren, wenn sie das Publikum zu langweilen drohen. Das rechnet sich für die Verlage aber weniger denn je. Und der finanziell starke Tanker des öffentlich-rechtlichen Mediensystems, der jährlich über 7,4 Milliarden Euro verfügt? Der ist in parteipolitisch-bürokratische Abhängigkeiten verstrickt und von einer Vorbild-Rolle im Sinne eines der Demokratie verpflichteten Qualitäts-Journalismus weit entfernt.


Diese und weitere große Tendenzen verändern lautlos und unspektakulär die Produkte, die dieses massenmediale System herstellt: Die Information (ein öffentliches Gut), die kommerzielle Massenkultur (die Unterhaltung) und die persuasive Kommunikation (Werbung, Marketing, PR) vermischen sich zunehmend. Auch der geübte Bürger kann (oder will) zwischen diesen Gattungen nicht mehr unterscheiden, Fakten und Fiktionen fließen untrennbar ineinander. Der Wahrheitsbegriff erodiert. Wie viel Konstruktion von Wirklichkeit verträgt eine Demokratie?


»BILD« verkörpert diese Vermischung, verstärkt sie und ist darüber vom Außenseiter zum Leitmedium der Medien-Branche avanciert. »Bild« greift, um die größtmögliche Auflage und Rendite zu erzielen, nach Bedarf in das gesamte Arsenal öffentlicher Kommunikation, der Werbung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Unterhaltung, des Marketings und auch des Journalismus. »BILD« inszeniert sich als journalistische Elitetruppe – wie einer, der die Rolle des Arztes deshalb besonders perfekt spielt, weil er keiner ist.


Gehört solchen Medien die Zukunft? Eine Zukunft, die den Journalismus hinter sich lässt und politische Kommunikation auflöst in einem Säurebad aus Unterhaltung und Propaganda? Das käme einer Ablösung von Information, Wissen, Argumenten und Fakten durch bloßes Meinen, Talk-Talk-Talk, Vorurteil und Emotion gleich. Diese Welt ist zu sehen, aber noch nicht da. Das Ende ist offen. Es kommt darauf an, wer was tut und wer wen gewähren lässt.


In einem Land, in dem die Einweihung jeder noch so winzigen Umgehungsstraße ein Ereignis ist, sollte endlich Platz für die Erkenntnis sein, dass Investitionen des Staates in den Journalismus und die Verbreitung seiner Produkte Investitionen in die Infrastruktur dieser Demokratie sind. Weil es um die Demokratie geht – deshalb muss der Staat helfen. Weil der Staat dabei die Demokratie und die Unabhängigkeit des Journalismus mehren und nicht mindern soll, darf er allerdings nur indirekt handeln. Es geht darum, die Ausbildung zu fördern wie die Vielfalt von Unternehmensformen: Stiftungen, Genossenschaften, Mitarbeiter-Unternehmen – und dem Qualitätsjournalismus auch im Öffentlich-Rechtlichen freie Hand zu geben.


Warum schaffen die Stiftungen, Gewerkschaften, Parteien und Verbände – links des Mainstreams – nicht einen Leuchtturm? Für ein, besser zwei Jahre jeweils jene drei bis fünf Millionen Euro Anschubfinanzierung für eine im besten öffentlichen Sinne unabhängige Online-Tageszeitung. Ein Vorbild gegen die verrückten Maßstäbe. Ein Traum. Ein Traum?