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Lehren ziehen - das System in Frage stellen?

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

Gregor Gysi zur Marktwirtschaft, gesellschaftlichen Verantwortung und Rolle der LINKEN.

Die Wirtschaftskrise hat den globalen Markt im Griff: Ist es da nicht populär, Systemkritik zu üben?

Bisher war die Krise für die Menschen nicht greifbar. Aber jetzt wird sie immer realer. Die Arbeitslosigkeit steigt, die sozialen Folgen sind zu spüren. Die Leute fangen an, sich über grundlegende Alternativen Gedanken zu machen. Da sind wir,DIE LINKE, eigentlich die einzige Option.

Noch zu Beginn dieser Legislatur wurden Sie für Ihre Forderung nach Abkehr vom Neoliberalismus gescholten. Heute drängt die Regierungskoalition nach Regulierung der Finanzmärkte. Fühlen Sie sich bestätigt?

Der Neoliberalismus wurde von Medien und Ökonomen in den letzten Jahren immer wieder in den Himmel gelobt. Jetzt entpuppt er sich als einer der Verursacher der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Das hat selbst die Kanzlerin erkannt. Aber jene, die heute nach Regulierung und Verstaatlichung rufen, fordern morgen wieder Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung. Das sind Opportunisten, keine Linken. Deshalb: Heuschrecken und Leerverkäufe gehören verboten, und vieles mehr muss geregelt werden. Nur wenn wir strikte Regeln in der Finanzwirtschaft haben, macht dort wie bei Monopolen, in der Rüstung und in der öffentlichen Daseins-vorsorge Staatseigentum Sinn. Andernfalls kann eine Beteiligung für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sehr teuer werden.

Sie sagen, es muss viel geregelt werden. Wie stehen Sie zur Teilverstaatlichung von Industriekonzernen,z.B. Opel?

Natürlich braucht Opel staatliche Unterstützung auf einem erfolgreichen Weg in
die Eigenständigkeit. Ein Länderanteil wie bei VW kann da durchaus hilfreich sein. Aber reine Staatsbetriebe in der Industrie bringen wenig. Dazu sagen wir nein - nicht nur aufgrund von DDR-Erfahrungen. Das ist anonymes, fremdes Eigentum. Wir wollen stattdessen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Firmen ins Boot holen. Sie sollen am Unternehmen beteiligt werden und Mitentscheidungsrechte erhalten. Das beweist: Die Krise gibt uns
die Möglichkeit, Eigentum gerechter zu verteilen. Wenn große Unternehmen jetzt den Staat um finanzielle Hilfe bitten, sollte dieser stets zur Bedingung machen: Geld gibt es nur, wenn im Gegenzug die Belegschaft am Unternehmen beteiligt wird.

Wie kann Deutschland sozial gerechter werden, und wer soll die Forderungen der LINKEN nach mehr Gerechtigkeit bezahlen?

Die Bürgerinnen und Bürger müssen es erkämpfen. Jeder müsste nach seiner Leistungsfähigkeit zahlen. Aber die Politik hat in den letzten Jahren den Besserverdienenden und Vermögenden im Land den Weg bereitet, sich immer mehr aus der Verantwortung zu schleichen, sie hat von unten nach oben umverteilt. Deshalb fordern wir die Einführung einer Börsenumsatzsteuer, einer Vermögen- und Millionärsteuer. Außerdem muss der Spitzensteuersatz auf 50 Prozent angehoben werden, für das, was mehr als 80000 Euro im Jahr verdient wird. Wenn ich ein Einkommen von über 80000 Euro im Jahr habe und jeder Euro, den ich darüber hinaus verdiene, geteilt wird - 50 Cent für mich, 50 Cent für das Gemeinwohl - was ist denn so schlimm daran? Damit leiste ich nur meinen Beitrag, den das Grundgesetz fordert: Eigentum soll zugleich dem Allgemeinwohl dienen.

Steuererhöhungen der Bevölkerung zu vermitteln, dürfte schwierig sein.
Wer teilt heute schon gern?

Der beste Grund, uns zu unterstützen, kann auch jenseits individueller Vorteilnahme liegen. Keiner ist gern arm, aber auch nicht gern von Armut umgeben. Bei der Armuts-bekämpfung können sich die Bürgerinnen und Bürger nur auf DIE LINKE verlassen.Die CDU wird nie dauerhaft für soziale Gerechtigkeit kämpfen, die FDP schon gar nicht. Der SPD fehlt der Mut, und die Grünen haben ihre Spezialklientel.

Bürgerliche Medien behaupten, DIE LINKE stehe nur für mehr Umverteilung. Sie sei wirtschaftspolitisch konzeptionslos. Was entgegnen Sie?

So? Die gewaltige Krise soll Ausdruck von Kompetenz der anderen sein? Das könnten wir wohl besser. Ich bin demokratischer Sozialist, die Marktwirtschaft ist partiell sinnvoll. Wir wollen darüber hinaus aber eine andere Form des Interessenausgleichs, mehr soziale Verantwortung, mehr Regulierung, ein Primat der Politik über die Wirtschaft, endlich Demokratie auch in der Wirtschaft und rechtlich geregelte Verantwortung der Verantwortlichen.