Friedrich Schorlemmer über das alte menschliche Elend in neuem Gewand
Die Geschichte der Menschheit – bis an unsere Urgründe und Ursprünge zurückverfolgt – beginnt in den heiligen Büchern der Juden nicht nur mit einem Brudermord, sondern zugleich mit der Konkurrenz zwischen zwei Lebensweisen, nämlich dem nomadischen Viehzüchter Abel und dem sesshaften Landmann und Städtebauer Kain, der seinen Blick verfinstert, seinen Kopf senkt, also dem anderen nicht frei in die Augen sieht, und über den etwas Böses herrscht, bis er sich selbst vergisst. Da sagt Kain zu seinem Bruder: »Komm, lass uns aufs Feld gehen.« Damit beginnt der ganze Menschheitsschlamassel. Seither schreit das Blut der toten (Menschen-)Brüder aus der Erde, dem Ackerboden, dem Felde der Feldschlachten, der verordneten Schlächtereien vor Verdun, vor Stalingrad, auf den Seelower Höhen, im Sand der Wüsten, in den Dschungeln Südostasiens und Afrikas. »Neue Kriege« sind nur variierte Ausdrucksweisen eines alten Problems: Junge Männer werden aufs Feld geschickt, nicht, um die Ähren zu lesen, sondern geschickt zur Schlacht, zum Schlachten, zum Abschlachtwettbewerb mit dem Kürzel »Krieg«, und um Macht, um Ressourcen, um Rivalitäten geht es immer.
Krieg ohne Regeln, ohne klare Fronten, ohne Anfang und Ende? New War? Das alte menschliche Elend in neuem Gewand. Das Kampffeld als Bewährungsfeld für männlichen Mut, auch bei Hightech-Maschinen. Leichen werden danach abgelesen, statt dass Ähren gelesen werden. Zugleich überlebt die große Menschheitsvision: die von der endgültigen Verwandlung von »Schwertern zu Pflugscharen«. Das ist die große Konversion, vor der jede Generation wieder neu steht: dass die Schwerter, die Blut bringen, zu Pflugscharen werden, die Leben bringen. Brotkörner statt Schrotkörner.
Im Gewaltrausch. Krieg – ein typisch männliches Bewährungsfeld? Der Kriegsgott als Gott der Stärke, der Männlichkeit, Tapferkeit, Unerschrockenheit. Da geht es um Gehorsam, (Todes-)Mut, Kameradschaft und Liebe zum Vaterland, die man mit seinem eigenen Blut auf dem »Feld der Ehre« bezahlt. Die Begräbnisrituale für getötete Soldaten setzen immer wieder das Schwülstige über das Blutige. Gedenken an getötete Soldaten im Irak oder in Afghanistan versuchen dem Sinnlosen stets Sinn einzuhauchen. Immer wieder kommt eine (quasi)religiöse Legitimation oder hehre politische Munitionierung der Kriege auf. Denen, die einen lieben Menschen verloren haben, muss wenigstens ein Sinn suggeriert werden – »für uns alle«, für unsere Demokratie…
Wer über Krieg und Frieden nachdenkt und offen spricht, kommt selbst ins Minenfeld. So äußerte sich die Irakkriegsbefürworterin Angela Merkel, dass es schlecht sei, wenn man nicht mit einer Stimme spricht. Mit welcher? Mit der Bushs? Nichts sagte sie über den Irakkrieg und seine unabsehbaren Folgen, gar dass der Lügenkrieg gezeigt hätte, dass Krieg keine Lösung ist.
Wer die militärisch-technischen Probleme zu lösen sich anschickt, ohne die geistigen und psychologischen und gar die sozialen mit anzupacken, sät nur neue Gewalt. In Friedenszeiten steht auf Mord die Höchststrafe. Und Töten im Krieg darf man nicht Mord nennen, denn er ist ja befohlen. Krieg ist also der zivilisatorische Ausnahmezustand, in dem Töten gerechtfertigt wird. Johannes Paul II. nannte im Januar 2003 Krieg immer als »eine Niederlage der Menschheit«.
Das sei allen Menschen ins Stammbuch geschrieben: Das Feld ist das Feld für die Ähren, die Brot bringen. Der Frieden ist der Ernstfall. Gestern, heute und morgen. Ein Krieg ist nie heilig. Auch nicht der Krieg gegen den Heiligen Krieg in Afghanistan.
Aktuelle Neuerscheinung:
Friedrich Schorlemmer, Hans-Dieter Schütt:
»Zorn und Zuwendung«,
Das Neue Berlin, 256 Seiten 16,95 Euro