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Klage verhindert Zwangsverrentung-

erschienen in Clara, Ausgabe 34,

Das Jobcenter wollte Heike Domhardt per Bescheid in die vorgezogene Rente abschieben. Lebenslang hätte sie dann auf monatlich mindestens 50 Euro Rente verzichten müssen. Doch sie klagte – und gewann.

Der Brief war kurz, aber in großen Buchstaben geschrieben und mit dicken Ausrufezeichen versehen: „ICH HABE GEWONNEN! DER KAMPF, DIE MÜHE, DIE ZWEIFEL – ALLES HAT SICH GELOHNT!“ Die Absenderin heißt Heike Domhardt, sie lebt in Arnstadt in Thüringen, und vor genau einem Jahr hatte sie der Redaktion von clara schon einmal einen Brief geschickt. Damals schrieb sie von ihrer Fassungslosigkeit, ihrer Ohnmacht und ihrer Wut.    Heike Domhardt hatte im April 2013 ein offizielles Schreiben des Jobcenters Ilm-Kreis erhalten. Darin stand, dass das Jobcenter für sie eine „vorrangige Rente“ beantragen werde. Zu diesem Zeitpunkt war Domhardt 63 Jahre alt, Hartz-IV-Bezieherin und seit längerer Zeit ohne Arbeit. Gelernt hatte sie einst Handelskauffrau, einen Beruf vergleichbar der heutigen Bürokauffrau, und gebracht hatte sie es bis zur ökonomischen Leiterin. Ihr Betrieb, ein Betonwerk, wurde bereits im Jahr 1990 abgewickelt, Heike Domhardt und alle anderen weiblichen Beschäftigten wurden gleich mit entsorgt.    Da war sie zum ersten Mal ohne Job, hörte jedoch nie auf, sich um neue Vollzeitstellen zu bewerben. Vom Arbeitsamt, von der Arbeitsagentur, vom Jobcenter – wie auch immer die Namen derselben Institution über die Jahre lauteten – bekam sie keine einzige Stelle angeboten. Jede Beschäftigung suchte und fand sie selbst: im Vertrieb, in der Werbung, als Vertriebsleiterin. Zehn Jahre ging das gut, dann kam erneut das Aus. Inzwischen weit über 50 Jahre alt, wurden ihre Bewerbungsschreiben von den suchenden Unternehmen in der Regel nicht einmal mehr beantwortet. Erwerbslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Hartz IV, immer gepaart mit unzähligen, niedrig bezahlten Nebenjobs, bestimmten fortan ihr Leben. Das war schwer hinnehmbar für eine Frau, die raus aus den Sozialtransfers und zurück ins Arbeitsleben wollte.   CDU/CSU und SPD für Zwangsverrentung   Die ultimative Aufforderung zur frühen Rente, verbunden mit lebenslangen finanziellen Einbußen, brachte „das Fass zum Überlaufen“, sagt Heike Domhardt auch heute noch immer wütend. Sie habe das Schreiben „zweimal lesen“ müssen und „konnte nicht fassen, was da stand“. Für sie war das eine Art zweite Bestrafung. Erst schuldlos in die Arbeitslosigkeit geschickt, und am Ende auch noch eine „Kürzung der selbst erworbenen Rentenansprüche“.  Möglich gemacht hatte diese Frühverrentung per Gesetz die Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahr 2008. Der Paragraf 12 a des Sozialgesetzbuchs II – besser bekannt als Hartz-IV-Gesetz – schreibt dort fest, dass Frauen und Männer mit Arbeitslosengeld-II-Bezug (Hartz IV) auf vorrangige Leistungen verwiesen werden müssen. Im Alter von 63 Jahren zieht das inzwischen fast automatisch die vorzeitige Altersrente mit Abschlägen nach sich. Für Heike Domhardt und alle anderen Betroffenen hat das zur Folge, dass sie gegen ihren Willen in die frühe Altersrente geschickt werden, lautlos aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden, keinerlei Jobangebote mehr erhalten und lebenslang monatliche Rentenabschläge hinnehmen müssen. Doch das weiß kaum jemand in der Öffentlichkeit.    DIE LINKE hatte sich stets gegen die Einführung der Zwangsverrentung gewehrt. Auf parlamentarischer Ebene kämpfte sie mit zahlreichen Anfragen, Anträgen und einem Rentenabschlagsverhinderungsgesetz gegen die Zwangsverrentung. Immerhin konnte damit die damalige Bundesregierung zu nennenswerten Einschränkungen gedrängt werden. So wurde der Zeitpunkt der frühestmöglichen Zwangsverrentung auf 63 Jahre statt auf 60 Jahre festgelegt. Und es wurde eine sogenannte Unbilligkeitsverordnung erlassen, die einige – nach der Rechtsprechung nicht abschließend definierte – Härtefälle beschreibt, bei denen eine Zwangsverrentung unzulässig ist.   Und mit genau dieser Unbilligkeitsverordnung konnte Heike Domhardt ihren Kampf gegen den Bescheid aufnehmen. Sie legte fristgerecht Widerspruch ein und suchte in ihrer Region einen Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht. Beim Sozialgericht Gotha reichte der Anwalt Klage ein – und das Jobcenter machte einen Rückzieher (siehe Interview). In zwei Monaten kann Heike Domhardt ohne Abzüge in ihre Regelaltersrente gehen.