Zum Hauptinhalt springen

Kein Dach über dem Kopf

erschienen in Clara, Ausgabe 47,

In Deutschland wird alles gezählt: jedes Auto, jedes Haus, jeder Einwohner. Fragt man allerdings nach wohnungslosen Menschen, wird mit den Schultern gezuckt. Es gebe nur Schätzungen. Bis heute fehlt eine bundesweit einheitliche Statistik ebenso wie eine nationale Strategie zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Als wohnungslos gilt, wer über keine mietvertragliche Wohnung verfügt. Corinna Lenhart aus Pforzheim rutschte in so eine Lage. Sie war 30 Jahre lang verheiratet, zog drei Kinder groß, arbeitete auf Minijobbasis. Ihr Mann war der Hauptversorger der Familie, vertrank und verspielte jedoch zunehmend das Haushaltseinkommen. Was folgte, war der klassische Weg: erst der Strom weg, dann die fristlose Wohnungskündigung. Der Berliner Verein Straßenfeger schlug Ende 2018 Alarm. Woche für Woche musste er vier, fünf Familien wegschicken, weil die Notunterkünfte nicht reichten. Frauen würden »versteckt auf der Straße leben«, sagt Corinna Lenhart. Sie fand damals Unterschlupf bei einem Kollegen während einer Umschulung. Danach hatte sie Glück, bekam einen neuen Job und fand eine Miniwohnung für sich. Vergessen aber konnte sie diese »Angst, Ausgrenzung und Diskriminierung« als Wohnungslose nicht. Die heute 57-Jährige gründete gemeinsam mit anderen Frauen die Selbstvertretung wohnungsloser Frauen. Etwa 30 Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Österreich und Ungarn engagieren sich dort. Noch sind sie wenige, aber »sie wollen über sich selbst sprechen«, ihre Forderungen einbringen. Die Fraktion DIE LINKE hatte zur Wohnungslosigkeit von Frauen eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die Antworten dazu erleichterten der Selbstvertretung erste Schritte. Denn Wohnraum wird nicht vom Bund, sondern über die jeweiligen Kommunen vergeben. Als Ansprechpartnerinnen gewinnen die Frauen ohne Dach überm Kopf seitdem die Gleichstellungsbeauftragten vor Ort. Außerdem beantragten sie einen »Internationalen Tag wohnungsloser Frauen«. Ihr Ziel sei es, »keine Frau, kein Kind, keine Seniorin soll mehr auf der Straße leben«.

Gisela Zimmer

Mehr unter: www.armutsnetzwerk.de