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Im Namen Europas - DIE LINKE klagt gegen den vertrag von Lissabon

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

DIE LINKE verteidigt die Erfolge der europäischen Einigung und fordert eine demokratische Verfassung für Europa. Deshalb klagt sie vor dem Bundesverfassungsgericht.

Die europäische Einigung war eine Erfolgsstory. Sie brachte Frieden zwischen einst verfeindeten Staaten, und der gemeinsame Wirtschaftsraum sollte die Menschen vor dem rauen Wind der Globalisierung schützen. Die Europäische Union (EU) und die nationalen Regierungen verspielen diese historischen Leistungen. Die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union haben nichts mehr mit der ursprünglichen Idee von Europa zu tun. Die EU trägt eine Verantwortung für die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Der ungeregelte Kapitalverkehr ist unantastbar und laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) wichtiger als die Menschenwürde in Art. 1 des Grundgesetzes. Die Demokratie wurde an die Finanzmärkte verkauft. Europa ist an völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligt. Das Recht der nationalen Parlamente, über Militäreinsätze zu entscheiden, soll nach dem Willen der EU beschnitten werden.
Die von den EU-Regierungschefs beschlossene EU-Verfassung wurde daher von Franzosen und Niederländern im Jahr 2005 in Volksabstimmungen abgelehnt. Die EU verordnete sich daraufhin eine Denkpause und legte zwei Jahre später einen neuen Vertrag (Vertrag von Lissabon) vor. Dabei handelte es sich in den Worten des ehemaligen französischen Präsidenten Giscard d’Estaing um einen »alten Brief in einem neuen Umschlag«. Der Vertrag von Lissabon schreibt erneut eine gescheiterte Wirtschaftspolitik, Aufrüstung, Sozialabbau und weniger Demokratie fest. Der Vertrag scheiterte wieder bei einer Volksabstimmung in Irland. Vor allem Arbeiter, Frauen und junge Menschen lehnten den Vertrag ab, obwohl die Iren zu den stärksten Befürwortern der EU gehören. In Deutschland verhinderten die anderen Parteien eine Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon. Sie fürchteten, auch die Bevölkerung in Deutschland würde den schlechten Vertrag ablehnen. DIE LINKE meint, wenn den Regierenden das Volk nicht passt, soll sie sich ein neues Volk wählen.

DIE LINKE verteidigt die Erfolge der europäischen Einigung und fordert eine demokratische Verfassung für Europa. Daher klagen wir vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Lissabon. Dies sind unsere wichtigsten Argumente:

1. Der Vertrag von Lissabon schreibt eine einseitige Wirtschaftspolitik gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit fest. Diese Wirtschaftspolitik hat zur schwersten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg geführt. Sie vernichtet Millionen Arbeitsplätze und hat Banken und Konzernen mehr Macht als den gewählten Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten verliehen. Dies ist ein Angriff auf die Demokratie, denn zukünftige Generationen müssen die Chance haben, eine gescheiterte Politik abzuwählen. DIE LINKE fordert daher eine neutrale Wirtschaftsordnung für Europa nach dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes.

2. Die Freiheit von Kapital, Unternehmen, Waren und Dienstleistungen (Binnenmarktfreiheiten) haben mit dem Vertrag von Lissabon Vorrang vor der Menschenwürde. Das Grundgesetz verbietet, die Menschenwürde einzuschränken, sie ist unantastbar. Selbst das Parlament darf dies gemäß Art. 79 GG (Ewigkeitsklausel) nicht ändern. Der Europäische Gerichtshof hat das Streikrecht, die Versammlungsfreiheit sowie die Menschenwürde in zahlreichen Urteilen den Binnenmarktfreiheiten untergeordnet. Ein deutsches Unternehmen zahlt in Polen selbstverständlich polnische, keine deutschen Löhne. Umgekehrt soll dies nicht gelten. So dürfen etwa Arbeitnehmer/innen zukünftig nicht mehr streiken, um gleiche Löhne für polnische Bauarbeiter auf deutschen Baustellen durchzusetzen. Dies verstößt gegen Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Der besagt, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Die Arbeitnehmer/innen aus dem EU-Ausland haben laut EuGH höchstens Anspruch auf Mindestlöhne. Mindestlöhne werden so zu Höchstlöhnen. Die Wurzel dieser absurden Rechtsprechung liegt in den europäischen Verträgen: Arbeitnehmer/innen in Schweden, Polen oder bei VW in Niedersachsen müssen zukünftig um die schlechtesten Arbeitsbedingungen und Löhne konkurrieren. Dies wird die Menschen in Europa spalten, nicht einen.

3. Immer mehr Entscheidungen werden auf die europäische Ebene verlagert. Das Europäische Parlament darf aber weniger mitentscheiden als etwa der Deutsche Bundestag. Die nationalen Regierungen spielen daher häufig über Bande: Wenn sie ein Gesetz auf nationaler Ebene gegenüber dem Parlament nicht durchsetzen können, benutzen sie die EU-Kommission. Das Europäische Parlament hat zudem kein Recht, Gesetze vorzuschlagen. Selbst wenn eine Mehrheit des Europaparlaments eine falsche Politik verändern möchte, ist es machtlos, solange die EU-Kommission keine Initiative ergreift. Die EU kann sogar eigene Kompetenzen erfinden, ohne dass diese in den Verträgen vorher festgelegt wurden (Kompetenz-Kompetenz). Die Demokratie in Europa befindet sich damit auf dem Niveau des Deutschen Kaiserreiches von 1871. DIE LINKE will mehr Europa; so fordern wir eine europäische Wirtschaftsregierung, um Wirtschaftsnationalismus zu überwinden. Die europäische Geschichte mahnt uns aber: Das europäische Haus muss demokratisch gebaut sein, oder es wird einstürzen.

4. Der Vertrag von Lissabon verstößt gegen die wichtigste Lehre aus der deutschen Vergangenheit. Das Parlament muss über den Einsatz der Armee entscheiden (Parlamentsarmee bzw. Parlamentsvorbehalt). Der Vertrag von Lissa-bon schwächt die demokratischen Rechte der nationalen Parlamente. Die Parlamente sollen sich an die Einsatzzeiten der EU-Battle-Groups anpassen. Diese Kampfverbände mit 60000 Soldaten sollen innerhalb von 5 Tagen weltweit die militärische Sicherung von Rohstoffen, etwa in Afrika, ermöglichen. Britische EU-Abgeordnete gehen davon aus, dass die deutschen Parlamentarier erst nach einem Marschbefehl für Soldaten über Kriegseinsätze entscheiden dürfen. Der Druck der EU-Regierungen auf die nationalen Parlamente wird in jedem Fall zunehmen. In Spanien und England wurde als Lehre aus den völkerrechtswidrigen Kriegen in Irak und Afghanistan der Parlamentsvorbehalt gerade erst gestärkt. Das »neue Europa« verabschiedet sich aber von der demokratischen Kontrolle des Militärs.
Die Verfassungsrichter in Karlsruhe stellten der Bundesregierung während der mündlichen Verhandlung über unsere Klage zahlreiche kritische Fragen. Wir erwarten daher, dass das Bundesverfassungsgericht, zum Beispiel bei der Parlamentsarmee, in seinem für Mai erwarteten Urteil mehr Demokratie fordern wird.

DIE LINKE ist die einzige im Bundestag vertretene Partei, die für eine demokratische Verfassung für Europa kämpft. Die Bevölkerung in Deutschland durfte über den Vertrag von Lissabon nicht abstimmen. DIE LINKE ist die Stimme für Europa, für Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit. Daher lehnen wir den Vertrag von Lissabon ab.