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»Im Moment bin ich sehr kämpferisch«

erschienen in Querblick, Ausgabe 15,

Vorurteile gegen ihre Lebensform gehören für alleinerziehende Menschen immer noch zum Alltag. Auch deswegen, weil sie in Deutschland die Familienform mit dem höchsten Armutsrisiko ist. Doch was sich die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« (FAS) erlaubte, überraschte selbst erfahrene Aktivistinnen: Alleinerziehende Frauen seien die Hätschelkinder der Nation, titelte die Zeitung, entfachte damit eine Debatte und erhielt Reaktionen, die deutlich machen, warum um Gleichberechtigung immer noch gekämpft werden muss und welche Wege es gibt.

Diese Lektüre wird Kirsten Schmitz (41) aus Kiel so schnell nicht vergessen. Schon bei der Überschrift blieb ihr der Bissen vom Frühstücksbrötchen im Hals stecken. »Die Hätschelkinder der Nation«, so überschrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) am 24. Januar 2010 einen Leitartikel über Alleinerziehende. Kirsten Schmitz, selbst alleinerziehende Mutter eines neunjährigen Sohnes, konnte einfach nicht fassen, was da geschrieben stand: »Alleinerziehende mögen arm und traurig sein, von der Gesellschaft alleingelassen sind sie nicht. Im Gegenteil: Sie sind die Hätschelkinder des Wohlfahrtsstaates.«

Mit jedem Satz stieg der Blutdruck von Kirsten Schmitz. Der Wohlfahrtsstaat verteile »Trennungsprämien«, zerstöre Familien, Alleinerziehende würden Sozialleistungen missbrauchen und wären klug genug, keinen regulären Job anzunehmen. Die Autoren beriefen sich auf eine neue Studie des Kieler Institutes für Weltwirtschaft: Hartz IV, so die Studie, bringe einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern mehr Einkommen als eine Arbeit. Warum also arbeiten? – so der Tenor des Textes.

Noch vor ein paar Jahren, sagt Schmitz, habe sie solchen Vorurteilen nichts zu entgegnen gewusst. Ihre Situation als Alleinerziehende habe sie gelähmt. Sie fühlte sich machtlos und ohne Hoffnung auf Veränderung. Doch irgendwann hatte sie davon die Nase voll, fing an, sich in einem Kieler Netzwerk für Alleinerziehende zu engagieren. »Da habe ich Feuer gefangen.« Sie gab Interviews, sprach vor Menschenmengen und zögerte auch nicht, nach der Lektüre des Artikels mit Mitstreiterinnen Leserbriefe zu schreiben.

Auf Zeitungsartikel reagiert der Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter gewöhnlich nicht. Aber in diesem Fall, sagt deren Bundesgeschäftsführerin Peggi Liebisch, habe man sich gezwungen gesehen, dem Populismus etwas entgegenzusetzen. Sie verfasste

eine Gegendarstellung: Die FAS solle sich schämen, der Artikel sei schlecht recherchiert und diene wohl ausschließlich dazu, die Lebensform »Alleinerziehend« zu verunglimpfen.

Hinter solchen Texten steht nach Ansicht Liebisch’ eine konservative Haltung, die sich auch in der Politik beobachten lasse. »Alleinerziehende werden immer noch als Abweichung von der Normalform gesehen«, sagt Liebisch. Sie seien diejenigen, die keine Partner hätten, denen man helfen müsse, um wieder normal zu werden. Sprich: Die einen neuen Partner brauchen. Gemäß dieser Logik bestehe die »normale« Familie aus einem Vater, der die Familie ernährt, und einer Mutter, die sich um Haushalt und Kinder kümmert.

Doch diese Norm existiert nicht nur in den Köpfen, auch in Gesetzen und gesellschaftlichen Strukturen schlägt sie sich nieder – mit fatalen Folgen: Alleinerziehende tragen das höchste Armutsrisiko. Ob fehlende Kinderbetreuung, nicht existenzsichernde Löhne für typische Frauenjobs oder das Ehegattensplitting im Steuerrecht – die gesellschaftlichen Strukturen beruhen auf der tradierten Form der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und fördern sie, egal ob sie mit der Lebensrealität und den Wünschen der Menschen übereinstimmt. Für andere Geschlechterverhältnisse lässt diese Logik keinen Platz. Lediglich die Empfehlung: Alleinerziehende müssten nur ihr Verhalten ändern, und alle Probleme wären gelöst.

Die Folgen solcher Einstellungen hat Kirsten Schmitz aus Kiel oft am eigenen Leib gespürt: die verzweifelte Suche nach Kita-Plätzen, die Vorurteile von Personalchefs bei Bewerbungsgesprächen, Hartz IV trotz Arbeit und gar ein Vermieter, bei dem Alleiner-ziehende nicht erwünscht sind.

Ein »Hätschelkind« zu sein, an der Absurdität dieser Aussage gab es für Schmitz keinen Zweifel, ihre eigene Lebenserfahrung war das beste Argument.

Aber da gab es noch die Zahlen des Kieler Instituts. Der Paritätische Wohlfahrtsverband jedoch ließ das nicht auf sich sitzen, legte eine Gegenstudie vor. Ergebnis: Wer arbeitet, hat mehr als Hartz-IV-Empfänger – auch Alleinerziehende. Der Hauptgeschäfts-führer des Verbands, Ulrich Schneider, kritisierte die Kieler Studie scharf. Wohngeld und Kinderzuschlag seien bei den Berechnungen einfach ignoriert worden, und der Verdacht dränge sich auf, mit falschen Berechnungen werde Politik gemacht.

Für Kirsten Schmitz ist dies alles der Beweis dafür, wie wichtig es ist, selbstbewusst zu sein: »Bloß nicht jammern, sondern anpacken.« Mit anderen Frauen aus Kiel ist sie derzeit in einem Projekt tätig, das den Namen »Expertinnen in eigener Sache« trägt. Sie tragen Infos zusammen und suchen mit lokalen Behörden nach konkreten Lösungen. Eine weitere Idee diskutieren sie auch: Irgendwann wollen sie, die Kieler »Hätschelkinder«, jene Forscher einladen, die der FAS die Daten für den Artikel lieferten. Kirsten Schmitz sagt: »Im Moment bin ich sehr kämpferisch.«

Ewald Riemer