Zum Hauptinhalt springen

Ihr gutes Recht

Von Wolfgang Neskovic, erschienen in Clara, Ausgabe 18,

Wolfgang Neskovic, Justiziar der Fraktion DIE LINKE und Richter am Bundesgerichtshof a.D., kommentiert in jeder Ausgabe der clara aktuelle Urteile.

Anspruch eines EU-Bürgers auf ALG II

Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländer vom Leistungsbezug ausgeschlossen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Danach hatten bisher insbesondere arbeitsuchende freizügigkeitsberechtigte Staatsangehörige aus EU-Staaten keinen Anspruch auf ALG II. Dies wird sich nun ändern. Das Bundessozialgericht hat nämlich entschieden, dass diese Ausschlussregelung nicht auf solche Ausländer anwendbar ist, die sich auf das Europäische Fürsorgeabkommen berufen können (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/ 20 R). Das Abkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsparteien, die sich erlaubt in ihrem Staatsgebiet aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie ihren eigenen Staatsangehörigen die Leistungen der sozialen und der Gesundheitsfürsorge zu gewähren.

 

Überlange Verfahrensdauer beim Sozialgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Einzelfall entschieden, dass die überlange Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens von knapp vier Jahren den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verletzt (BVerfG, Urteil vom 24. August 2010 – 1 BvR 331/10). Für die Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, seien sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer, die Schwierigkeit der Sachmaterie und die Verfahrensverzögerungen durch die Parteien und Sachverständigen. Dagegen könne sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen. Die hohe Verfahrensbelastung der Sozialgerichte sei demnach kein Grund, der eine längere Verfahrensdauer rechtfertige. Das Bundesverfassungsgericht hat eine zügige Entscheidung dennoch nicht angeordnet, weil das Sozialgericht zwischenzeitlich ein Urteil gefällt hat.

 

Keine Mietminderung wegen Flächenunterschreitung

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Mietminderung wegen Abweichung der tatsächlichen von der im Mietvertrag angegebenen Wohnfläche um mehr als 10 Prozent ausgeschlossen ist, wenn der Vermieter im Mietvertrag eine Klausel aufgenommen hat, wonach die angegebene Quadratmeterzahl wegen möglicher Messfehler nicht zur Festlegung des Mietgegenstandes diene (BGH, Urteil vom 10. November 2010 – VIII ZR 306/09). Damit haben es die Vermieter künftig in der Hand, falsche Angaben durch solche Klauseln abzusichern und de facto höhere Mieten zu verlangen. In dem Ausgangsfall war die Wohnung 22 Prozent kleiner als im Mietvertrag angegeben.

 

Eigenbedarfskündigung unwirksam

Ein wegen Eigenbedarfs kündigender Vermieter muss dem Mieter eine andere, ihm zur Verfügung stehende vergleichbare Wohnung während der Kündigungsfrist anbieten, sofern sich die Wohnung im selben Haus oder in derselben Wohnanlage befindet (Urteil vom 13. Oktober 2010 – VIII ZR 78/10). Anderenfalls sei die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme rechtsmissbräuchlich und unwirksam. Damit bekräftigte der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung und stellt klar, dass zu der Anbietpflicht auch gehört, dass der Vermieter den Mieter über die wesentlichen Bedingungen einer Anmietung informiert.