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Ich weiß, wer du bist

erschienen in Clara, Ausgabe 30,

Was passiert mit Daten, die Unternehmen über uns sammeln?

Zunächst die gute Nachricht: Wenn Sie sich wundern, wie gut das Internet Sie kennt, sind Sie damit nicht allein. »Wir haben so lange unbemerkt (und unbenannt) Big-Data-Services in Anspruch genommen, haben uns von Google die richtigen Webseiten suchen lassen, von Amazon die richtigen Bücher und von Facebook die richtigen Freunde, dass es fast verwunderlich erscheint, wie verwundert die – deutsche – Zivilgesellschaft im Frühsommer 2013 auf die Enthüllungen Edward Snowdens reagierte.« So beschreiben Heinrich Geiselberger und Tobias Moorstedt die Situation, in der jetzt über große Datensammlungen diskutiert wird. Dabei entscheiden beispielsweise Banken schon länger auf der Basis von Computersimulationen, wem sie einen Kredit geben. Das Individuum wird einer Gruppe zugeordnet und auf Basis des prognostizierten Verhaltens dieser Gruppe behandelt: »In dieser Szene prallen zwei Entscheidungs- und Weltwahrnehmungskulturen aufeinander: Augenschein vs. Algorithmen, Gedächtnis vs. Datenbanken, Bauchgefühl vs. Statistik, Erfahrung vs. Innovation.«

Ähnlich sieht es der Prognostiker Nate Silver. Er sagte den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen 2012 exakt vorher und verknüpfte dazu verschiedene Datenquellen. »In der Big-Data-Ära, in der die Informationsmengen und die Rechnerleistungen exponentiell zunehmen, wäre es vielleicht angezeigt, eine gesündere Einstellung zu Computern und ihren Fähigkeiten zu entwickeln. Technologie ist ein Segen, wenn sie uns Arbeit abnimmt, aber wir sollten von den Maschinen nicht erwarten, dass sie uns auch noch das Denken abnehmen«, meint er. Doch schaffen mehr Daten mehr Klarheit? »Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass die Auswirkungen menschlichen Handelns vorhersehbarer werden. Im Gegenteil. Dieselben Wissenschaften, die die Gesetzmäßigkeiten der Natur erschließen, gestalten die Organisation menschlichen Zusammenspiels komplexer. Der technologische Fortschritt verändert unser Verhalten zueinander grundlegend.« Um im Rauschen das Signal zu entdecken, müssten Analysten unvoreingenommen und unbestechlich an die Daten herangehen.

Viktor Mayer-Schönberger und Kenneth Cukier warnen mit Blick auf die Geheimdienste, dass diese neutrale Perspektive fehlen könnte. Sie sehen »das Risiko, dass wir Menschen nicht aufgrund ihres tatsächlichen Verhaltens, sondern ihrer durch Big Data vorhergesagten Neigungen beurteilen. Gerade weil Big-Data-Vorhersagen immer genauer werden, laufen wir Gefahr, dass wir diese Vorhersagen dafür verwenden, Menschen lediglich für vorhergesagtes Verhalten zu bestrafen – Taten, die sie noch gar nicht begangen haben.« Die Sammelwut von NSA & Co. führt dann schnell zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Dabei sind mit Big Data nicht nur große, sondern auch möglichst vollständige Datensammlungen gemeint. Dann lassen sich mithilfe moderner Analysemethoden Zusammenhänge in den Zahlenkolonnen aufspüren, sie erklären präziser Ursache und Wirkung von Ereignissen. Doch die Suche nach kompletten Datensätzen führt zum Konflikt mit Datenbesitzern, die anonym bleiben wollen.

Die wachsenden Datenschutzprobleme wecken für Rudi Klausnitzer umfassenden Diskussionsbedarf: »Das bedeutet, zur initiativen Auseinandersetzung sowohl mit den eigenen Daten wie auch mit Open Data anzuregen, die dafür notwendigen Werkzeuge möglichst allen Menschen chancengleich zugänglich zu machen und neue Formen der demokratischen Partizipation zu ermöglichen. Viele Aufgaben also für eine Gesellschaft, die sich mehrheitlich noch nicht mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat.«

 

Heinrich Geiselberger, Tobias Moorstedt (Hg.): Big Data. Suhrkamp, 309 Seiten, 14 Euro

Nate Silver: Die Berechnung der Zukunft. Heyne, 656 Seiten, 22,99 Euro

Viktor Mayer-Schönberger, Kenneth Cukier: Big Data. Redline, 304 Seiten, 24,99 Euro

Rudi Klausnitzer: Das Ende des Zufalls. Ecowin, 232 Seiten, 21,90 Euro