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Hochschulen: Geldnot, Chaos, Burn-out

Von Nicole Gohlke, erschienen in Klar, Ausgabe 22,

Die Bildungspolitik der Bundesregierung stellt junge Menschen vor große Probleme. Bekomme ich überhaupt einen Studienplatz? Wie finanziere ich ihn? Halte ich dem Leistungsdruck stand? Klar hat bei drei Menschen nachgefragt.

Jobben und Studium
Friederike Benda studiert Jura in Potsdam. Neben dem zeitintensiven Studium jobbt sie dreimal die Woche im Callcenter. Ihre Eltern verdienen zu viel für BAföG und doch zu wenig, um die Tochter zu finanzieren. Darum ist Friederike auf den 400-Euro-Job angewiesen. Ansonsten würde das Geld nicht mal ausreichen, um in der Mensa zu essen.
Im Callcenter geht es freundlich zu, unterschwellig laufen trotzdem Kontrollmechanismen ab. Die Beschäftigten müssen eine bestimmte Anzahl Telefonate pro Stunde schaffen. Gelingt das nicht, werden sie in Zukunft seltener eingesetzt. Das führt zu einem starken psychischen Druck. Oft sitzt Friederike vor ihrem Telefon und fragt sich: »Was mache ich hier eigentlich?« Der Job hat nichts mit ihrem Studium zu tun. Friederike würde gern in einer Kanzlei jobben, dort aber geht man davon aus, dass Studierende unentgeltlich arbeiten. Immer mehr jungen Menschen geht es wie Friederike: Obwohl der Lernaufwand im Studium immer größer wird, arbeiten mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Studierenden in Deutschland nebenher, Tendenz steigend.

Master-Desaster
Jakob Graf studiert seit zwei Jahren Politikwissenschaften und Ethik auf Lehramt. Vor Kurzem bekam er es schwarz auf weiß: Einen Masterplatz in Berlin wird er wohl nicht bekommen.
Per E-Mail riet ihm sein Dekan, das Nebenfach Ethik abzubrechen. Es gebe Probleme, genügend Masterplätze anzubieten. »Ich war entsetzt«, sagt Jakob, »dass die Studiengänge so unterfinanziert sind.« Um Lehrer zu werden, muss er aber einen Masterplatz bekommen, sonst wird er nicht zum Referendariat zugelassen. Wechseln geht nicht, denn in anderen Bundesländern wird der Berliner Lehramtsbachelor kaum anerkannt. Was also tun? Jakob wird weiterstudieren mit der Unsicherheit, wie es nach dem Bachelor weitergeht.
So wie Jakob Graf geht es vielen Studierenden. Nach dem Bachelor bekommen viele keinen Masterplatz und müssen sich gezwungenermaßen mit dem Bachelorabschluss zufriedengeben. Der Grund dafür: Für ausreichend viele Masterplätze fehlt das Geld. Ergebnis: Für jeden Dritten endet das Studium somit unfreiwillig nach dem Bachelor.

Studium macht krank
Studienzeit, so denken manche, ist Partyzeit. Die Realität ist oft anders, erzählt Michaela Holte, Psychotherapeutin in der Psychologischen Beratungsstelle des Berliner Studentenwerks: »Studierende kommen heute schon früh mit Überforderungsgefühlen, Burn-out-Symptomen und Versagensängsten.«
Die eng gestrickten Stundenpläne erlauben es kaum, nebenbei zu arbeiten, dazu kommen Karrieredruck und Konkurrenz. In der kurzen Regelstudienzeit sollen Studierende neben Prüfungen und Hausarbeiten noch Praktika absolvieren und Auslandserfahrungen machen. Die Folgen dieser enormen Anforderungen zeigt eine Studie der Techniker Krankenkasse: Immer mehr Studierende nehmen Medikamente, werden krank oder brechen das Studium ab. Die Einnahme von Psychopharmaka stieg in den letzten vier Jahren um 54 Prozent. Insbesondere bei den Migränemitteln, Schmerzmitteln und Antidepressiva sei ein massiver Anstieg zu verzeichnen. Allein im Berliner Studentenwerk bieten13 Psychologinnen und Psychologen Hilfe für Studierende an. Die Beratung ist kostenfrei. »Jedes Problem ist willkommen«, lädt Michaela Holte ein.