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Haus ohne Eigentümer

erschienen in Clara, Ausgabe 18,

Im Berliner Stadtteil Lichtenberg haben sich 20 Erwachsene und Kinder von Mietpreisspekulanten unabhängig gemacht: Sie leben in einem selbstverwalteten ökologischen Hausprojekt. Weil sie Sonne, Wind und Regenwasser nutzen, ist ihre Strom- und Wasserrechnung extrem niedrig.

Von dieser Strom- und Wasserrechnung mag so manch ein Berliner Mieter träumen. Wenn die Bewohner des Hauses Wönnichstraße 103 in Berlin-Lichtenberg ihre Rechnung bekommen, dann liegt sie bis zu 75 Prozent unter dem, was in einem vergleichbar großen Haus gezahlt wird. Ihr Geheimnis: ein Dach mit Solaranlagen, ein Garten, der zugleich eine biologische Kläranlage ist, und viele andere Details.

 

Ende der 1990er Jahre hatten Irmina Körholz und drei befreundete Architekten die Idee für dieses Hausprojekt. Ihr Ziel: so ökologisch und so gemeinschaftlich wie möglich in einer Großstadt leben. Als sie bei Banken ihr Projekt vorstellten, von Solaranlagen und Toiletten sprachen, die ohne Wasser funktionieren, da war die Skepsis groß. „Die Banken trauten uns und den potenziellen Mietern das einfach nicht zu“, sagt Irmina Körholz. Eine Finanzierung war nur mit einem außergewöhnlich hohen Eigenkapitalanteil möglich. Mehr als 50 Prozent forderten die Banken für ein Projekt, an das sie nicht glaubten.

Körholz und ihre Freunde ließen sich nicht abschrecken. Zum Glück konnten einige der Gründer das geforderte Kapital aufbringen und gründeten eine Kommanditgesellschaft, die als Geburtshelfer für das Haus fungierte. Ihr Auftrag: das Projekt aufbauen. Zugleich schrieben die Gründer fest, dass sich die Kommanditgesellschaft nach zehn Jahren auflösen, das Haus an die Bewohner übergeben müsse.

In der Lichtenberger Wönnichstraße fanden sie ein altes, unsaniertes Haus, das geeignet schien, ihre Ideen umzusetzen. Gemeinsam wollten sie dafür sorgen, dass der Wasser- und Stromverbrauch rund 75 Prozent unter dem Durchschnitt liegt, Müll- und Abwasseranfall ebenso. Als Ende 2001 das Haus fertig war und die erste Bewohnerin einzog, war der Kreis um Irmina Körholz und die anderen gewachsen. Per Anzeige hatten sich weitere Mitstreiter gefunden.

 

Tomatenpflanzen filtern Abwasser

Nun standen auch Vertreter der Bank vor der Tür, die einst skeptisch waren, und fragten nach einer Führung. Sie kletterten auf das Dach, bewunderten die Windkraftanlage, bestaunten die Solaranlagen und vor allem das Gartenhaus, das Teil eines ausgeklügelten Klärsystems ist. Die darin befindlichen Beete mit Tomaten-, Paprika- und anderen Pflanzen filtern das Abwasser aus Duschen, Küchen und der Regenrinne. Selbst aufgefangenes Regenwasser und das Toilettenabwasser des Hauses, das von den Fäkalien getrennt wird, lassen sich so wieder für die Duschen benutzen. „Wir sind bundesweit Spitzenreiter in Sachen hochwertige Wasseraufbereitung“, sagt Irmina Körholz. Im Jahr 2003 erhielt das Projekt dafür den Berliner Klimaschutzpreis.

Dass der Energie- und Wasserverbrauch im Haus so gering ist, hat aber nicht nur mit den Anlagen, sondern auch mit dem Verhalten der Bewohner zu tun. „Das Wohnen und Arbeiten mit den Anlagen führt zu einem anderen Umgang. Wir sehen täglich, wie viel wir verbrauchen und was wir produzieren“, sagt Irmina Körholz. Jeder im Haus trägt Verantwortung für die Anlagen und muss wissen, wie sie funktionieren. Neue Bewohner ändern ihr Verhalten rasch: Aus dem Berliner Durchschnittsverbraucher mit 124 Litern Trinkwasser pro Tag wird in der Wönnichstraße schnell ein 52-Liter-Verbraucher.

Einmal pro Woche treffen sich die Bewohner zur Hausversammlung. Dort besprechen sie anstehende Arbeiten, Dinge, die das gemeinschaftliche Leben betreffen, und entscheiden im Konsens. Auch dann, wenn es darum geht, wer neu einziehen soll. Das Haus verfügt auf seinen fünf Etagen über 2er- und 3er- und eine 6er-Wohngemeinschaft, in der Irmina Körholz zusammen mit vier anderen Erwachsenen und einem Jugendlichen lebt. Pro Quadratmeter zahlen die Bewohner eine Warmmiete von 6,15 Euro und liegen damit mehr als einen Euro unter dem Berliner Durchschnittspreis. In der Wönnichstraße können sie für diesen Preis sogar noch einen riesigen Garten, eine Bibliothek im Dachgeschoss und eine große Gemeinschaftsküche nutzen.

 

Gemeinschaftsküche als Treffpunkt

„Zwar verfügt jede WG über eine eigene Küche, aber die werden kaum noch genutzt“, sagt Irmina Körholz. Mit den Jahren ist die große Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss der zentrale Treffpunkt aller Hausbewohner geworden. Jeden Abend kocht ein Bewohner für die anderen und einmal pro Monat kocht das Haus für den Kiez. Direkt neben der großen Gemeinschaftsküche liegt ein Veranstaltungssaal, den sie „Piekfeiner Laden“ nennen und in dem das Essen für die Nachbarschaft serviert wird. Für 2,50 Euro gibt es ein feines Abendessen, anschließend oft noch Konzerte. Häufig folgen 20 bis 30 Nachbarn der Einladung, ältere Menschen aus der Nachbarschaft und viele aus dem Hausprojekt auf der anderen Straßenseite.

Irmina Körholz und ihr Partner und Mitbewohner Ferdinand Beetstra, die zusammen ein Planungs- und Architekturbüro für Hausprojekte und ökologisches Leben betreiben, wollten es nämlich nicht nur bei einem Haus belassen. Im Jahr 2006 initiierten sie auf der anderen Straßenseite ein Mehrgenerationen-Hausprojekt, in dem alte und junge Menschen zusammenleben.

„Aber der Raum für solche Projekte wird immer enger“, sagt Irmina Körholz. In Städten wie Berlin ist kaum noch unsanierter Altbau zu finden. Und wenn, dann treiben Spekulanten die Preise derart hoch, dass soziale Hausprojekte kaum noch eine Chance haben. „Ein großes Problem für neue Projekte sind die hohen Grundstücks- und Gebäudepreise“, sagt Irmina Körholz. Dabei gebe es eine Lösung für das Problem: Erbpachtverträge. Kommunen und Städte könnten, anstatt Grundstücke und Häuser an Investoren zu verkaufen, diese sozialen Wohnprojekten per Erbpachtvertrag überlassen.

 

Niemand will Eigentümer werden

„Kommunen bleiben so weiterhin Eigentümer, können sogar Auflagen wie soziale Kriterien für die Nutzung festlegen“, sagt Körholz. So könne man dem Privatisierungswahn und der damit verbundenen Explosion der Mietpreise entgegenwirken. Doch stattdessen regiere in den Köpfen der Kommunen noch zu oft die Formel „Privat ist besser“ und kollektives Eigentum werde weiterhin verschleudert.

Dass privat besser sei, davon halten die Bewohner der Wönnichstraße nichts, vor allem dann nicht, wenn es um Privateigentum an Häusern geht. Sie diskutieren derzeit, wie es mit ihrem Projekt weitergeht. Noch gehört ihr Haus der Kommanditgesellschaft und diese, so schrieben es einst deren Gründer fest, muss sich nach zehn Jahren auflösen und das Haus an die Bewohner übergeben.

Welchen Weg sie genau gehen sollen, wissen die Bewohner noch nicht. Eines aber steht fest: Kein Bewohner will und soll Eigentümer werden. „Das Eigentumsrecht ist ein großes Problem und kann so ein Projekt ins Schleudern bringen“, sagt Irmina Körholz. Deswegen, so die Idee, werde ein Verein, eine Stiftung oder Ähnliches das Haus bekommen. „Dann gehört das Haus hier niemandem und kann nicht verkauft werden.“