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Handlungsreisende in Sachen Kultur

erschienen in Clara, Ausgabe 9,

Unterwegs mit Luc Jochimsen, die für kommende Generationen

Schätze heben und bewahren will.

»Großer Bahnhof« im Keller des Altenburger Lindenau-Museums. Die Augen von Lena-Marie und Josephine werden immer größer. »Da, da ist sie …«, sagt Lena aufgeregt und knufft ihrer besten Freundin mit dem Ellenbogen in die Seite. »Sie« ist Luc Jochimsen, die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Die Mädchen kennen bis zu dieser Minute weder den Namen noch die Funktion der Politikerin. Aber dass die Abgeordnete einen Scheck über 1500 Euro mitbringen wird, davon hat ihnen Ulrike Weißgerber, die Leiterin des Studios Bildende Kunst, vorher erzählt.

Die beiden Siebenjährigen leben in Körbitz, einem Dorf sechs Kilometer von Altenburg entfernt. Sie kommen jede Woche in den Malzirkel des Museums. Wenn sie das nicht mehr dürften, weil es kein Geld mehr für Material und Lehrkräfte gäbe, bräche eine kleine Welt zusammen, sagen die Mütter von Lena und Josephine. Darin schwingt Dankbarkeit mit, weil die Abgeordnete monatlich einen Teil ihrer Diätenerhöhung für die Leidenschaft von Kindern spenden will. Unverkrampft nehmen die Mädchen die Besucherin bei der Hand und zeigen stolz ihr neuestes Werk: einen weißen Stuhl. Nein, auf den könne man sich nicht setzen, schau mal, der hat einen Katzenkopf mit Schnurrhaaren, als Lehne. Ein Prachtstück, tatsächlich, staunt Luc Jochimsen. Ehe sie sich versieht, hat ihr rotes Kleid weiße Farbflecken abbekommen. »Macht nichts«, sagt sie und knetet mit den Kindern braune Tonfiguren, so als sei das jetzt das Wichtigste für die Politikerin. »Das ist es auch«, wird sie später sagen und ergänzen: »Wir bleiben Kindern vieles schuldig.« Die »Mutmacherzeit«, die Förderung von Talenten im frühen Kindesalter und die Wertschätzung von kultureller Bildung ist eines der Themen, die der Politikerin besonders am Herzen liegen.

Kultur ist Reichtum für alle

»Wir bauen Bibliotheken, Museen, Theater und Kunstschulen für Kinder ab, weil wir glauben, sie uns nicht leisten zu können.« Dass es genau umgekehrt richtig wäre, weil »durch Bildung Wohlstand kommt«, darin ist sie sich mit den Künstlerinnen und den Verantwortlichen des Studios für Bildende Kunst einig. Seit 1971 ist es fester Bestandteil des Lindenau-Museums. Regelmäßig treffen sich über 200 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in 21 Kursen für Malerei, Grafik, Buchgestaltung, Plastik, Keramik und Textilgestaltung. Ein Kleinod der thüringischen Kreisstadt, das die Wende - wenn auch mit Mühe und Not - überlebt hat. Luc Jochimsen weiß diesen Wert zu schätzen. Denn die ehemalige Fernsehjournalistin aus Hamburg hatte schon vor 1989 Interesse für den kulturellen und sozialpolitischen Reichtum im Osten. Nun erlebt sie, wie Kultur und soziale Errungenschaften den politischen Bach in Ost und West runtergehen.

Viel ist über den Seitenwechsel der Luc Jochimsen vom Establishment zur linken Oppositionspartei spekuliert und geschrieben worden, meist mit dem offenen Vorwurf: Warum tut sie sich das an? »Ich tue mir etwas Gutes an«, antwortet sie dann, weil Gerechtigkeitssinn, Toleranz und Neugier auf andere Lebensentwürfe schon immer ihren Lebensweg geprägt hätten. Deshalb will sie, dass der Wunsch nach einer Kultur für alle, gleichberechtigt und sozial, nicht länger ein Schattendasein der Illusionen fristet. Als linke Kulturpolitikerin, die sich für die grundsätzliche Verbesserung der Gesellschaft mit sozialer Gleichheit und kultureller Teilhabe einsetzt, wundert es sie nicht, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen wirtschaftliche Interessen Vorrang gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Bedürfnissen haben. Eine Aufgabe, die kaum lösbar ist. Oder doch?

Sie habe sich für DIE LINKE entschieden, sagt die promovierte Philosophin Jochimsen, weil die sich von den anderen Parteien substanziell unterscheide. Diese Partei zeige als einzige, dass die Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen von den gesellschaftlichen Bedingungen beherrscht werden und dass das kulturelle Abseits immer mit sozialen Verhältnissen zu tun habe.

Politik zwischen Orgelkonzert und Roten Spitzen

Auch deshalb ist sie heute in die Stadt Altenburg gekommen, die zu ihrem Wahlbundesland gehört. Es ist ein Tag, vollgepackt mit Terminen, so ganz nach dem Geschmack von Luc Jochimsen. Ganz gleich, wen sie an diesem Tag trifft, ob Oberbürgermeister Michael Wolf oder die Leiterin des Schloss- und Spielkartenmuseums Uta Künzel, den Organisten Dr. Felix Friedrich, der sie spontan zu einer musikalischen Siesta einlädt, oder den Archäologen Michael Mattern, mit dem sie in den Ausgrabungen der »Roten Spitzen«, dem Wahrzeichen von Altenburg, fachsimpelt: Sie alle schätzen das aufmerksame Zuhören der Abgeordneten, die Probleme aufgreift und - wenn möglich - verspricht, sich in Berlin darum zu kümmern.

Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen im Austausch der Gedanken und Anregungen. Kultur ist Ländersache und stößt damit oft an finanzielle Grenzen. Aber Ideen, Konzepte, Lösungen bleiben liegen, wenn sich keiner für sie stark macht. Luc Jochimsen will Schubkraft sein für ein Ziel, das Staatsziel Kultur heißt. Was so abstrakt klingt, dafür kann sie andere begeistern, auch wenn ihre Botschaften zunächst so gar nicht populär ankommen. Nein, für ein Staatsziel Kultur könne man sich nichts kaufen, weder eine Konzertkarte noch ein Theaterticket oder einen Museumsbesuch. »Aber es ist schon ein Unterschied, ob sich unser Staat in der Verfassung ausdrücklich dazu verpflichtet, die Kultur zu schützen und zu fördern, oder eben nicht«, sagt sie und legt ein Argument nach. Das reiche Deutschland gab 2007 gerade mal 0,34 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Kultur aus. Dagegen ging im gleichen Zeitraum mehr als das Dreifache für Verteidigung drauf.

Die Budgets für Kultur werden immer kleiner, nicht nur in Altenburg, auch anderswo. Man darf das getrost einen Ab-sturz nennen und man muss sich dagegen politisch wehren, fordert die linke Parlamentarierin. Deshalb will DIE LINKE, dass das Staatsziel Kultur endlich in das Grundgesetz aufgenommen wird. Und deshalb ist es auch das ganz persönliche Anliegen von Luc Jochimsen. »Wir waren schon mal ein ganzes Stück weiter, 1990 im Einigungsvertrag. Da wurde die Bedeutung der Kultur ausdrücklich betont und das vereinte Deutschland als ›Kulturstaat‹ definiert, welcher die kulturellen Aufgaben zu erfüllen und zu finanzieren habe.« 18 Jahre ist das her. Und wenn in den nächsten Tagen wieder in großen Reden des Tages der Deutschen Einheit gedacht wird, dann heißt das für sie: weiter streiten für eine Gedenkkultur, ohne Relativierung historischer Wahrheiten. Die Regierungskoalition erarbeitet seit langem ein Gedenkstättenkonzept, in dem zunächst Begriffe wie »erste« und »zweite« Diktatur verankert waren. Damit wurden das Nazi-Regime und die DDR gleichgesetzt. Die Neufassung des Gedenkstättenkonzepts vermeidet zwar solche begrifflichen Unschärfen, die Gefahr der Schieflage des Diktaturenvergleichs ist damit aber nicht gebannt. Diesen Tendenzen hat DIE LINKE stets mit eigenen Gedenkentwürfen entgegengewirkt. So soll in Berlin kein pompöses Jubeldenkmal zu Einheit und Freiheit entstehen, sondern in Leipzig ein Denkzeichen zur Erinnerung an die friedliche Revolution 1989. »In der Gedenkkultur müssen wir besonders wachsam bleiben, denn mit solcher Symbolik soll von den sozialen Problemen abgelenkt werden.« Deshalb ist Luc Jochimsen unermüdlich auf Achse, schreibt, argumentiert, streitet mit und für Kultur. Befragt nach einem Traum, den sie als Abgeordnete noch hat, sagt sie unumwunden: »Ich wünsche mir, dass eines Tages die Kinder sagen, es war die Linke, die dafür gesorgt hat, dass Kultur für Kinder Mittelpunkt der Gesellschaft wurde.«