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Gute Arbeit – gut in Rente

erschienen in Clara, Ausgabe 25,

Die Gewerkschaft IG Metall kritisiert die Rente erst ab 67 Jahren und wirbt für eine solidarische Erwerbstätigenversicherung, erläutert Dr. Hans-Jürgen Urban.

Das Einzige, was im deregulierten Finanzmarkt-Kapitalismus sicher scheint, ist die Unsicherheit. Unsicherheit mit Blick auf die Zukunft des Euro und Europas, die Arbeitsmarktentwicklung und die Demokratie, die soziale allzumal. Dabei haben Politik und Kapital die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und die Ausbreitung prekärer Beschäftigung gezielt vorangetrieben. Die Folge ist die »Rückkehr sozialer Unsicherheit« (R. Castel) in die Lohnarbeiterexistenz wie in das gesellschaftliche Leben insgesamt. Leiharbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Werkverträge und Niedriglöhne, aber auch Arbeitslosigkeit und Gesundheitsprobleme führen immer öfter zu Lücken in der Erwerbsbiografie und unzureichenden Rentenanwartschaften. Verstärkt durch das sinkende Rentenniveau sind immer mehr Menschen von Altersarmut bedroht oder betroffen.

Linke, progressive Politik muss dieser Prekarisierung eine »Politik der Entprekarisierung des Sozialen« entgegensetzen. Im Zentrum steht die solidarische Neuordnung des Arbeitsmarkts, durch die das wohlfahrtsstaatliche Sicherheitsversprechen politisch-praktisch und auf der Höhe der Zeit erneuert wird. Wichtige Elemente eines solchen Reformprojekts sind ein flächendeckender Mindestlohn, die Abschaffung sachgrundloser Befristung, die Eindämmung von Werkverträgen sowie die Regulierung der Leiharbeit nach dem Grundsatz »Gleiche Arbeit – gleiches Geld – gleiche Rechte«. Hinzukommen muss die Verbesserung der Versorgungs- und Rechtsposition von (Langzeit-)Arbeitslosen: etwa durch bedarfsgerechte Regelsätze in der Grundsicherung und neue Zumutbarkeitsregelungen, die Arbeitslose vor Lohndumping und Statusverlusten schützen.

Doch die Re-Regulierung des Arbeitsmarktes reicht für eine Entprekarisierung des Sozialen nicht aus. Verschleißende Arbeitsbedingungen, ausufernde Arbeitszeiten und ein restriktives Rentenrecht machen für viele Beschäftigte den Altersausstieg zu einem prekären Übergang. Diejenigen, denen der Eintritt in die Rente verwehrt wird, die aber den Belastungen am Arbeitsplatz nicht mehr standhalten, drohen Arbeitslosigkeit und Armutsrenten. Regierung und Arbeitgeber versagen bei der Bewältigung der notwendigen Humanisierung der Arbeit und flexiblen, sozial akzeptablen Übergängen in die Rente. So zeigt eine Betriebsräte-Umfrage der IG Metall, dass Maßnahmen zur altersgerechten Arbeitsgestaltung, wenn sie überhaupt stattfinden, zumeist von der betrieblichen Interessenvertretung ausgehen.

Um hier gegenzuhalten, versucht die IG Metall in ihrer Kampagne »Gute Arbeit – gut in Rente« die Missstände in der Arbeitswelt öffentlichkeitswirksamer als bisher zu thematisieren. Dabei sollen betriebspolitische Initiativen für einen demografischen Interessenausgleich befördert werden, die »demografiesensible« Arbeitsgestaltung mit flexiblen Ausstiegsoptionen verbindet. Doch auch die Regierungspolitik darf nicht aus der Verantwortung gelassen werden. Statt der Einheitsrenten ab 67 als Regelfall sollten bis zur Regelaltersgrenze 65 Wahlmöglichkeiten im Rentenrecht geschaffen werden, um den Übergang in den Ruhestand für die Bedarfslagen der Beschäftigten zu öffnen. Eingebettet werden sollte dies in die Transformation der Rentenversicherung in eine solidarische Erwerbstätigenversicherung, in der prinzipiell alle Erwerbstätigen versichert sind und die im Regelfall den Lebensstandard sichert und vor Altersarmut schützt.

Die IG Metall wird in den Monaten bis zur Bundestagswahl 2013 ihre Forderungen und Vorschläge öffentlich präsentieren und für ihre Umsetzung mobilisieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien sind zu Dialog und Kooperation eingeladen.

Dr. Hans-Jürgen Urban ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, verantwortlich für den Fachbereich Sozialpolitik und soziale Bewegungen. Nach einem Politik- und Philosophiestudium hat er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie an der Universität Marburg promoviert.