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„Grundrechte darf man nicht kürzen“

Von Katja Kipping, Sabine Zimmermann, erschienen in Clara, Ausgabe 37,

Sabine Zimmermann und Katja Kipping kritisieren die Sanktionspraxis bei Hartz IV und erläutern das Modell der sanktionsfreien Mindestsicherung.

DIE LINKE hat in einem Antrag gefordert: „Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen“. Warum soll man erwerbslosen Menschen, die sich nicht an Regeln halten, Leistungen nicht kürzen dürfen?   Katja Kipping: Das Recht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe ist ein Menschen- und Grundrecht. Grundrechte sind an keine Bedingungen geknüpft, schon gar nicht an ein Wohlverhalten. Nichts gegen Regeln, aber Regeln, die die Grundrechte verletzen, sind verfassungswidrig.  Sabine Zimmermann: Es geht hier ganz grundsätzlich um das Menschenrecht des Existenzminimums. Da kann und darf man nicht kürzen. Wie übrigens eine Anfrage von mir ergeben hat, haben Hartz-IV-Beziehende in den vergangenen sieben Jahren rund 1,5 Milliarden Euro wegen Sanktionen eingebüßt.   Die Mehrheit des Bundestags hat den Antrag abgelehnt. Kritik an der Sanktionspraxis kommt aber auch von deutschen Gerichten. Mit wem und wie führen Sie diese Auseinandersetzung in Zukunft?   Kipping: Das Sozialgericht Dresden hat jüngst im Rahmen eines Urteils gegen unrechtmäßige Sanktionen bemerkt, dass es der Auffassung sei, dass eine komplette Kürzung verfassungswidrig ist. Es bezog sich dabei auf die Auffassung des Gothaer Sozialgerichts. Dieses aber schätzt Sanktionen viel weiter als nur bezogen auf die Komplettsanktionen als verfassungswidrig ein. Das Hartz-IV-Unrechtssystem muss politisch gestürzt werden. Dazu müssen wir auf engagierte Bürgerinnen und Bürger, auf soziale Bewegung, auf Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften setzen, die der herrschenden Politik Beine machen. Auch DIE LINKE ist dabei mit der Kampagne „Das muss drin sein.“ – diesmal zum Thema sanktionsfreie Mindestsicherung.   Wie sollte diese sanktionsfreie Mindestsicherung konkret ausgestaltet sein?   Kipping: Erstens, die Mindestsicherung darf nicht unter 1.050 Euro liegen. Sie muss, zweitens, bei hohen Mieten durch Wohngeld ergänzt werden können. Drittens, die Mindestsicherung ist grundsätzlich sanktionsfrei. Sie ist, viertens, individuell unter Berücksichtigung der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen zugesichert. Fünftens, ein nachweisbarer Sonderbedarf wird zusätzlich übernommen. Und sechstens, die Mindestsicherung sichert sowohl erwerbsfähige als auch nicht erwerbsfähige Erwachsene, zum Beispiel Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner. Zimmermann: Wir wollen, dass es keinen Menschen in Deutschland gibt, der in Armut lebt. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.    Stattdessen aber wächst die Armut in Deutschland seit Jahren.   Kipping: Armut ist die Folge von ungleicher Verteilung gesellschaftlichen Reichtums. Gehäufter Reichtum bei wenigen bedeutet Armut bei vielen.    Wäre es dann nicht dringlich, endlich große Vermögen angemessen zu besteuern?   Zimmermann: Dafür streitet DIE LINKE zusammen mit anderen schon seit Jahren. Wir wollen eine Millionärsteuer, also Vermögen von über eine Millionen Euro mit fünf Prozent besteuern. Das brächte etwa 80 Milliarden Euro. Mit dem Geld könnte man viele gesellschaftlich sinnvolle Maßnahmen finanzieren, um Armut zu bekämpfen. In Deutschland machen Steuern auf Vermögen nur0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, in den USA, in Frankreich oder Großbritannien ist dieser Anteil fünf- oder sechsmal höher. Ich wundere mich immer wieder, dass wir darüber in Deutschland so wenig reden.   Katja Kipping ist Vorsitzende der Partei DIE LINKE und sozialpolitische Sprecherinder Fraktion DIE LINKE, Sabine Zimmermann ist stellvertretende Vorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.