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Gewischte Träume

erschienen in Querblick, Ausgabe 2,

Elsbeth von Scheven – Putzfrau im Bundestag

Jeden Morgen, Punkt drei Uhr ist für Elsbeth von Scheven die Nacht vorbei. Manchmal hat sie nur vier Stunden geschlafen. Sie trinkt einen frisch gebrühten Kaffee und schmiert die Schulbrote für ihre 16-jährige Tochter Sarah. Selbst bekommt sie um die Zeit noch keinen Bissen herunter. Stattdessen läuft sie schnell eine Runde Gassi mit ihrem Hund. Von ihrer Wohnung im Berliner Märkischen Viertel bis zu ihrem Arbeitsplatz im Bundestag  braucht sie über eine Stunde. Hier beginnt jeden Morgen um fünf Uhr ihre Frühschicht. Ganze Putzgeschwader ziehen geräuschvoll  ihre Runden über Fußböden, Toiletten, Glasfassaden und Geländer. Elsbeth von Scheven ist eine von ihnen. Sie ist gemeinsam mit zwei Kolleginnen für die Besuchertribüne im Plenarsaal verantwortlich. Um acht Uhr kommen die ersten Besucher. Sie sollen blitzblanke Sessel und Treppen vorfinden.

»So viel Staub wirbeln Politiker jeden Tag auf«

Man glaubt gar nicht, wie viel Staub und Schmutz täglich in diesem Hohen Haus zusammenkommen. Mit schwungvollen Bewegungen wischt sie zum Beweis die Lifttüren mit einem hellen Tuch ab. Triumphierend zeigt sie das Corpus Delicti. »So viel Staub wirbeln Politiker jeden Tag auf«. Dabei lächelt sie mild und schiebt kraftvoll den Putzwagen zum nächsten Einsatzort. Alles auf dem Wagen hat seinen Platz und muss auch nach Gebrauch wieder korrekt eingeordnet werden. Der Staubsauger funktioniert auf Fußtritt und heult auf. Seine Lautstärke wird nur noch vom Glockenläuten des Kölner Doms übertroffen. Das wird täglich 7.45 Uhr vom Band eingespielt. »Na ja«, schmunzelt Elsbeth von Scheven, »das soll an die alten Zeiten in Bonn erinnern.« Fegen, schrubben, wischen, putzen – das kann sie perfekt und tut sie gern. Elsbeth von Scheven konnte keinen Beruf erlernen.

Die 52-jährige hatte acht Geschwister und musste mit sechzehn Jahren schon auf eigenen Füßen stehen. So waren eben die Zeiten im Ruhrpott, wo sie ursprünglich herkam. Sie heiratete früh, probierte es auch ein zweites Mal und hatte doch wieder Pech mit ihren Männern. Irgendwann emanzipierte sie sich vom häuslichen Schrubber und von ihrer verflossenen Liebe. Dann stand sie mit zwei Töchtern allein da und wollte alles dafür tun, dass es denen besser geht als ihr. Eine hat sie schon über den Berg. Die große Tochter studiert, will Lehrerin für Deutsch und Sozialkunde werden. Die »Kleine« lebt noch zu Hause und geht in die 10. Klasse. Sie soll auch nach dem Abitur studieren, am besten Jura oder Meeresbiologie! »Dann – sagt Elsbeth von Scheven und hält beim Wischen kurz inne – könne niemand mehr sagen, allein Erziehende würden es nicht schaffen, ihre Kinder vernünftig zu erziehen.«

»Politiker ?sind wie Männer«

Sie weiß, wie begehrt ihr Job hier im Bundestag ist. Eigentlich interessiert sie sich nicht für Politik. Politiker seien wie Männer, so fällt knapp ihr Urteil aus. »Alles wird versprochen und nur um den heißen Brei geredet. In Wahrheit ist man schlechter dran als vorher.« Sie weiß, wovon sie redet und versichert, nicht männerfeindlich zu sein. Man nimmt es ihr ab. Liebevoll wischt sie über jeden einzelnen Kleiderhaken im Pressezentrum, entwirrt die Telefonleitungen auf den Tischen und hebt einsame Papierfetzen vom Boden auf.

Dann zeigt sie nachdenklich mit einem Kopfnicken in Richtung Plenarsaal und sagt: »Wenn ich etwas zu sagen hätte, dann würde ich mehr für Kinder und Jugendliche tun. Die brauchen Angebote nach der Schule und vor allem Lehrstellen.« In ihrem Wohnviertel engagiert sie sich dafür, dass die Jugendlichen nicht nur auf der Straße rumhängen, und streitet sich auch manchmal mit dem Jugendamt herum. Viele haben wie sie selbst finanzielle Sorgen. Von ihrem Lohn für vier Stunden täglich könnte sie nicht leben. Der Vater ihrer Jüngsten zahlt keinen Unterhalt. Deshalb bekommt sie einen Auffüllbetrag von Arbeitslosengeld II. Damit kommen Mutter und Tochter über die Runden. Beide kaufen nur Angebote beim Discounter, mehr ist nicht drin. Sie sei es nicht anders gewöhnt  – rechnen musste sie immer. Einen Traum, doch den hätte sie schon. Sie würde gern Oma werden – und dann schiebt sie leise noch einen zweiten hinterher – einmal in die Karibik fahren, das wäre zu schön.

Gegen 9 Uhr ist dieser Traum jedoch weggewischt. Schichtende – zufrieden schaut Elsbeth von Scheven über ihren Putzwagen. Noch schnell ein Foto für dieses Magazin – dann kann sie nach Hause gehen. Sie freut sich über so viel Aufmerksamkeit. Dabei kann sie doch sicher sein, dass ein hohes Tier ihr immer bei der Arbeit zuschaut. Würden Politiker mal so früh am Morgen ihren Arbeitsplatz  auf-suchen, sie hätten die Chance für Gespräche mit reinigender Wirkung – garantiert.

Marion Heinrich