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Geschlechterarbeit ist Friedensarbeit

erschienen in Querblick, Ausgabe 16,

Grundlegender Wandel der Geschlechterbeziehungen muss Teil von Friedensbemühungen sein, argmuentiert Prof. Cynthia Cockburn

Neulich habe ich den Spielfilm »Avatar« gesehen. Bekanntermaßen geht es darin um ein Volk, die Na’vi, die auf dem fremden Planeten Pandora leben. Die Kultur der Na’vi ist von Respekt gegenüber der Natur, von Integrität, Mitgefühl mit allen anderen Lebensformen und davon geprägt, dass es keine Ausbeutung gibt. Unglücklicherweise gibt es auf Pandora jedoch ein Mineral, auf das es die Erdbewohner abgesehen haben. Raumschiffe mit menschlicher Besatzung werden von der Erde ausgesandt, um das freundliche Volk der Na’vi zu vernichten und sich die wertvolle Ressource anzueignen. Der Film hat ein »glückliches« Ende. Die Na’vi setzen sich gegen die übermächtigen, skrupellosen, hochtechnologisierten, militarisierten (und ganz offensichtlich US-amerikanischen) Eindringlinge durch. Dieses glücklich scheinende Ende wird jedoch durch einen Krieg mit apokalyptischen Ausmaßen erreicht.

Warum musste diese Geschichte ihren Höhepunkt im Krieg finden?
Weil jedes Kind, jeder Jugendliche und jeder Erwachsene genau dies vom Film erwartet. Ohne Krieg fühlte sich das Publikum um etwas betrogen. Ohne Krieg wäre »Avatar« kein Kassenschlager geworden.

Die Konfliktberaterin Diana Francis fragt: »Was liegt der anhaltenden allgemeinen Bereitschaft zugrunde, Krieg zu akzeptieren?« Diese Frage ist in meinen Augen eine hilfreiche Herangehensweise an die Wurzeln des Krieges. Francis’ Ansatz lädt dazu ein, einen Film wie »Avatar« kritisch zu hinterfragen.

Selbstwahrnehmung überprüfen
Wenn die Autorin des Buches »Neue und alte Kriege«, Prof. Mary Kaldor, Recht hat mit ihrer These, dass sehr viele Kriege nicht geführt werden, weil eine Seite gewinnen will, sondern weil alle kriegführenden Parteien damit eine Art gemeinsame Unternehmung eingehen, die für jeden Vorteile mit sich bringt, so deutet auch das darauf hin, dass wir unsere Kulturen genauer betrachten müssen. Einige der Vorteile, die kriegführende Völker und Klassen gewinnen, wenn kriegerische Konflikte andauern, sind sicher ökonomischer Natur. Bei anderen mag es jedoch auch um Vorteile in der Selbstwahrnehmung gehen, um Ansehen oder Status in Bezug zu anderen Völkern und Gruppen. Welche Botschaften nehmen wir an, erzählen wir einander, die das Kämpfen, die absichtlichen Verletzungen und das Töten begründet, wünschenswert, ja sogar ruhmreich erscheinen lassen?

»Avatar« ist nur eines von unzähligen kulturellen Produkten, die gewalttätige Auseinandersetzungen, Militarisierung und Krieg als normal darstellen und verherrlichen. Und diese Kultur, die uns überall umgibt, ist zutiefst geschlechtlich geprägt. Geschlechtlich geprägte Denkweisen, Erwartungshaltungen, Verhaltensweisen und Einstellungen werden durch Filme wie diesen ebenso genährt wie durch die Videospiele, Werbung, Modeindustrie und Reality-Fernsehsendungen, mit denen unser Bewusstsein rund um die Uhr bombardiert wird. Männlichkeit und Weiblichkeit werden hier endlos und in idealisierenden, kontrastierenden und komplementären Formen konstituiert. Wir werden als Avatare für eine virtuelle Welt neu erschaffen, in der jedes Geschlecht ein verstümmeltes, unvollständiges menschliches Wesen ist – eine Welt, in der »er« Gewalt überlebt und ausübt, während »sie« lockt, verführt und sich unterwirft. Die feministischen Frauen und profeministischen Männer, die sich dieser Deformierung widersetzen, sind für die eigentliche Erzählung so unbedeutend, dass sie kaum im Abspann auftauchen. Und dies ist leider keine Kinofantasie, sondern die Welt, in der wir leben.

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit über und mit Friedensbewegungen habe ich festgestellt, dass auch hier ein Geschlechterkonflikt ausgetragen wird. Die meisten dieser Organisationen sind geschlechtlich gemischt. Unter den Mitgliedern sind viele Frauen, wenngleich die führenden Persönlichkeiten und Sprecher oft männlich sind. In den meisten Ländern gibt es jedoch auch eine Handvoll feministischer Antikriegs-, Antimilitarismus- und Friedensorganisationen. Diese unterscheiden sich oft in einer Beziehung von den Mainstream-Friedensbewegungen, zu denen sie gehören und zu denen sie beitragen: Zwar befassen auch sie sich mit den übergeordneten Problemen und Ereignissen, die alle Friedensbewegungen beschäftigen – Massenvernichtungswaffen, die riesigen Verteidigungsbudgets weltweit, das globale Netz US-amerikanischer Militärstützpunkte etc. – aber sie schaffen gleichzeitig auch Aufmerksamkeit für die alltägliche Gewalt und die Einzelschicksale der Betroffenen, für den Schmerz, die Sorge und die Verantwortung.

Nein zu jeder Form von Gewalt
Nachdem ich so viel Zeit mit den Frauen in vielen solcher Organisationen verbracht habe, denke ich als Mitglied der Women in Black und der Women’s International League for Peace and Freedom, dass wir gemeinsam einen neuen, frischen Gedanken in das Feld internationaler Beziehungen und der Kriegsforschung einbringen. Wir sagen: Wenn die geschlechtlich geprägten Kulturen alltäglicher Gewalt zu einer »allgemeinen Bereitschaft, Krieg zu akzeptieren« führen, dann müssen die Geschlechterbeziehungen, wie wir sie kennen und leben, als tatsächlich ursächlich für Kriege erkannt werden.

Und wenn die Geschlechterbeziehungen also tatsächlich einer der ursächlichen Gründe für Kriege sind, folgt daraus, dass ein grundlegender Wandel der Geschlechterbeziehungen Teil von Friedensbemühungen sein muss. Geschlechterarbeit ist Friedensarbeit. Dies öffnet den Männern in der Friedensbewegung die Tür. Durch diese Tür könnten sie jetzt gehen und sich zu dem bekennen, was wir vor einem Monat auf unser Plakat bei der Frauenblockade der Atomwaffenfabrik Aldermaston geschrieben haben: »Keine Fäuste, keine Messer, keine Gewehre, keine Bomben. Nein zu jeder Form von Gewalt!« Eine derart einfache Parole verbindet im kühnen Bogen Schlafzimmer und Schlachtfeld, die Gewalt im sogenannten Frieden und die im sogenannten Krieg zu einem einzigen Kontinuum. Dies ist in meinen Augen eine Sichtweise, die eine eigenständige Bewegung desselben Maßstabs hervorbringen kann.

Prof. Cynthia Cockburn ist Wissenschaftlerin und Friedensaktivistin und lebt und arbeitet in London.

Gekürzte Fassung, die Langfassung finden Sie unter:

www.linksfraktion.de/cynthiacockburn