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Geschändete Mutter Erde

erschienen in Clara, Ausgabe 37,

Der Papst hat kürzlich die Enzyklika „Laudato si“ veröffentlicht. Warum dies einradikal kapitalismuskritisches Werk ist, erläutert der Sozialethiker Franz Segbers. 

„Diese Wirtschaft tötet. Diese Wirtschaft schließt aus. Diese Wirtschaft zerstört die Mutter Erde.“ Solche Töne würde man von einem Papst nicht erwarten. Und doch stammen sie von Papst Franziskus bei einem Treffen mit Vertretern sozialer Bewegungen in Lateinamerika im Juli dieses Jahres.    Schon kurz zuvor hatte der Papst weltweit für großes Aufsehen gesorgt: mit seiner im Juni veröffentlichten Umweltenzyklika „Laudato si. Über die Sorge für das gemeinsame Haus“. Darin rückt er die zerstörerischen Folgen des Kapitalismus für die Menschen und die Natur ins Zentrum. Er spricht von einer sozioökologischen Doppelkrise, die nicht einfach durch ein paar politische Maßnahmen zu verhindern sei. Gefordert sei eine neue Ethik, eine andere Politik, ein anderes Wirtschaften, ein anderes Leben. Denn ein technokratischer Wahn herrscht, der nur einen Maßstab kennt: Was lässt sich verwerten und zu Geld machen?    Diese maßlose Aneignungsmaschinerie bedroht und vernichtet alles, was Mäßigung verlangen würde. In der Rede vor den lateinamerikanischen Sozialbewegungen hat der Papst das so ausgedrückt: „Es existiert ein System, das trotz der unverantwortlichen Beschleunigung der Produktionsrhythmen, trotz der Einführung von Methoden in Industrie und Landwirtschaft, welche um der ›Produktivität‹ willen die Mutter Erde schädigen, weiterhin Milliarden unserer Brüder und Schwestern die elementarsten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verweigert.“   Der Kapitalismus mit all seinen Versprechen ist gescheitert! Nur eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung zieht immer noch seinen Nutzen aus einem gescheiterten System. Sie beansprucht eine „imperiale Lebensweise“ (Ulrich Brand) für sich, greift weltweit auf billige Arbeitskräfte und billige Ressourcen zurück. Und sie lebt über die Verhältnisse anderer – auf Kosten und zulasten der Armen weltweit und der „Mutter Erde“. In der globalen Wegwerfkultur sind Primark oder Kik so billig, weil der wahre Preis anderswo bezahlt wird – von den Arbeiterinnen in Bangladesch oder auf den Philippinen.    Der Papst sagt: So wie wir wirtschaften, leben, konsumieren, Politik machen, überhören wir den Schrei der Armen und auch den der Erde. Es geht um mehr als Biogemüse. Wachstum, Produktionsweise, globale Machtverhältnisse und Lebensstilfragen machen das zerstörerische System aus. Deshalb muss die destruktive Logik der Beherrschung und Aneignung gebrochen werden.    Der Papst nennt die Alternative: An die Stelle des Paradigmas des Menschen als Herrscher plädiert er für eine universelle Geschwisterlichkeit aller Geschöpfe. Das ist nicht nett und harmlos gemeint, sondern hochpolitisch: In der Sprache der Religion wird eine ökologische Gleichheit eingefordert. Sie begründet geschwisterliche, demokratische Nutzungsregeln für einen begrenzten Planeten, damit alle leben können. Niemand hätte dann das Recht, für sich einen übergroßen Anteil an den Gütern der Erde zu beanspruchen. Alle, die diesen Planeten bewohnen, haben das gleiche Recht auf ein gutes Leben. Deshalb haben Gemeingüter Vorrang.   Haben solche Einsichten irgendeine Bedeutung für DIE LINKE, für Linke, für Gewerkschaften? Lässt man lieb gewonnene Ressentiments gegenüber den Kirchen einmal beiseite und analysiert nüchtern die globalen Herrschafts- und Machtstrukturen, dann wird man feststellen können, dass in den Religionen und auch in Teilen der Kirchen hierzulande eine große Kraft liegt, die bewegbar ist. Der Papst richtet seine Botschaft beileibe nicht nur an Christinnen und Christen. Er setzt auf die Kraft der Bewegungen von unten. Den Sozialbewegungen in Lateinamerika rief er ermutigend zu: „Die Zukunft der Menschheit liegt nicht allein in den Händen der großen Verantwortungsträger, der bedeutenden Mächte und der Eliten. Sie liegt grundsätzlich in den Händen der Völker; in ihrer Organisationsfähigkeit und auch in ihren Händen.“ An der Linken auch hierzulande wäre es, hier Schritt zu halten.    Franz Segbers, Jahrgang 1949, warbis zum Jahr 2014 Professor für Sozialethik an der Universität Marburg. Er ist Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft linke Christinnen und Christen in Hessen. Diese gibt die Publikation micha.links heraus, die sich in der aktuellen Ausgabe mit der Enzyklika beschäftigt. Zudem ist gerade unter der Mitherausgeberschaft von Franz Segbers „Diese Wirtschaft tötet“ im VSA-Verlag erschienen.