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Genug Energie für alle

Von Sabine Leidig, erschienen in Clara, Ausgabe 43,

Schon der Auftakt des zweitägigen Kongresses „Genug für alle – sozial.öko.logisch“ Ende Januar in der Zeche Zollverein in Essen unterschied sich deutlich von dem Üblichen. Keine großen Reden und keine Debattenrunde standen am Anfang, sondern unter dem Titel „Bunt. Aktiv. Global“ gab es eine vielseitige Schau über bemerkenswerte Aktionen, Initiativen und Projekte in den letzten Jahren, die sich gegen die Macht der großen Energiekonzerne richteten. Neben kurzen Wortbeiträgen wurden Videofilme eingeblendet.

Anschließend erinnerte Niema Movassat von der Fraktion DIE LINKE an die mehr als hundertjährige Geschichte des Tagungsorts, der Zeche Zollverein, Weltkulturerbe des Ruhrgebiets. Bis zum Jahr 1986 wurde in der einst weltgrößten Steinkohlezeche der fossile Brennstoff gefördert. Was einmal Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland war, gefährdet heute das Weltklima und damit die Zukunft. Dann rückten – zumindest auf der Bühne – die Tagebaubesetzungen von „Ende Gelände“ ganz nah an den Protest gegen „Stuttgart 21“ heran. Widerstand gegen undemokratische Großtechnologien und -vorhaben lautete der gemeinsame Nenner.

Michael Efler, ehemals beim Berliner Energietisch und jetzt energiepolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Berliner Abgeordnetenhaus, berichtete anschaulich von einem anderen Kampf, dem für die Rekommunalisierung des hauptstädtischen Stromnetzes. Einst war es im Besitz der Berliner Stadtwerke, dann wurde es an den Vattenfall-Konzern verscherbelt. Als die Bürgerinnen und Bürger es sich zurückholen wollten, griff der einstige Senat aus SPD und CDU zu Tricks.

Der Volksentscheid, mit dem der Berliner Energietisch erreichen wollte, dass die Berliner ihr Stromnetz wiederbekommen, sollte nach dem Willen der Initiative zusammen mit der Bundestagswahl 2013 stattfinden. Dem gab der Senat allerdings nicht statt, sondern zog den Termin der Abstimmung in voller Absicht um Monate vor. Das war ein Grund dafür, dass am Ende etwa 20.000 Stimmen fehlten. Der neu gewählte rot-rot-grüne Senat will nun, frohlockte Efler, das Berliner Stadtwerk revitalisieren und das Stromnetz in einem „demokratisch-antizipativen“ Prozess rekommunalisieren. Geprüft werde auch die Einführung von Sozialtarifen.

Und wieder wechselten auf der Bühne in Essen die Protagonisten und erinnerten an eine der größten Demos, die je auf Deutschlands Straßen stattgefunden hat. Rund 250.000 Menschen waren im Jahr 2015 nach Berlin gefahren, um sich gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP und CETA zur Wehr zu setzen und sich für einen fairen Welthandel und faire Arbeitsbedingungen einzusetzen. „Wer Gutes im Sinn hat, braucht nicht im Geheimen zu verhandeln, wie es bei diesem Freihandelsabkommen geschehen war“, schallte es aus den Boxen in den gut besetzten Saal des Zollvereins Essen.

Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, umriss am Freitagabend den weiten Themenhorizont des Kongresses: Klimagerechtigkeit, soziale Umverteilung, Energieversorgung unter demokratischer Kontrolle, dezentrale Energieversorgung mit einem Energie-Mix, Kritik am Ausspielen der sozialen gegen die ökologische Frage, Politikverdrossenheit, Wachstumskritik, eine Restrukturierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, bei der Profit und Wettbewerb nichts verloren haben und die bedarfsorientiert angelegt sein muss.

Hatten sich am ersten Abend schon 250 Teilnehmende aus ganz Deutschland in der Zeche Zollverein eingefunden, kamen am Samstag mehr als 400 Menschen zum Tagungsort. Die Resonanz auf den Kongress, darin waren sich am Ende alle einig, war viel größer als erwartet.

Schellnhubers Vortrag als Höhepunkt

Mit dem Vortrag des Direktors des Potsdamer Klimaforschungsinstituts PIK, Hans Joachim Schellnhuber, und der anschließenden Debatte mit Katja Kipping von der Fraktion DIE LINKE erlebte der Kongress einen weiteren Höhepunkt. Der weltweit renommierte Wissenschaftler zeichnete in seinem Vortrag die drei großen Trends der Zeit nach: die wachsende Ungleichheit, die Digitalisierung und den Klimawandel.

Schellnhubers Plädoyer, mit kaum mehr als 20 Jahren bleibe nicht mehr viel Zeit, um den Klimawandel noch zu stoppen, beeindruckte auch Katja Kipping. DIE LINKE, sagte sie, könne sich nicht nur darauf berufen, dass man den Kapitalismus als Verursacher bekämpfen wolle, sondern sie müsse schon jetzt und möglichst schnell praktikable Lösungen anbieten.

Ein Streitpunkt zwischen dem Wissenschaftler und der Politikerin blieb, ob die Energiewende nicht auch zu demokratischen, wenn nicht sogar kapitalismusverändernden Verhältnissen führen werde, wenn statt weniger großer Energiekonzerne nunmehr Millionen kleiner Energieerzeuger das Sagen haben. Für Schellnhuber hat nicht der Kapitalismus die Nutzung der fossilen Energien, sondern diese haben eher den Kapitalismus hervorgebracht. Wenn jeder selbst genügend Energie aus seiner Umwelt ziehen könnte, würde dies das ganze System umwälzen, ist er sich sicher.

Kipping sprach sich dafür aus, dass DIE LINKE genau schauen muss, wie die großen Fragen auch im Kleinen aufgetan werden können. Den Kongress, so Kipping, sehe sie als eine Art „Zwischenberatung“ für die nächsten ökologisch-sozialen Debatten in der Linken. So empfanden das auch viele Teilnehmende. Den Impuls, den die zwei Tage für die linke Ökologie gaben, spürten alle.

Dieser Artikel entstand während der von der Linken Medienakademie e.V. ausgerichteten Red Media Days, die parallel zur Konferenz in Essen stattfanden.