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Gemeinden brauchen mehr Geld!

Von Kerstin Kassner, Katrin Kunert, erschienen in Klar, Ausgabe 32,

Katrin Kunert war zwei Wahlperioden lang kommunalpolitische Sprecherin der Fraktion. Jetzt übergab sie den Staffelstab an Kerstin Kassner, Exlandrätin der Insel Rügen.

Kommunalpolitik findet vor Ort statt. Wieso greifen Bundesentscheidungen dennoch so tief in die Kommunalpolitik ein?

Katrin Kunert: Etwa 90 Prozent aller Bundesgesetze haben Auswirkungen auf die Kommunen. Wenn der Bund beispielsweise Großunternehmen und große Vermögen steuerlich entlastet, bedeutet dies weniger Geld in öffentlichen Haushalten. Seit 1998/99 erleben wir einen Einbruch bei der Gewerbesteuer, den Steuereinnahmen in den Kommunen. Und weniger Geld bedeutet weniger Gestaltungsmöglichkeiten.

Kerstin Kassner, wie haben Sie als Landrätin die Folgen des Bundesgesetzes zu Hartz IV gespürt?

Kerstin Kassner: Nach der Einführung ganz drastisch. Betrugen bis dahin die Kosten für Unterkunft im Sozialhaushalt des Landkreises Rügen 5 Millionen Euro, waren es plötzlich 18 Millionen Euro.

Sind Kommunalpolitiker als Experten zuvor angehört worden oder hatten sie Mitspracherecht?

Kerstin Kassner: Ein direktes Mitspracherecht hatten wir bei der Hartz-IV-Gesetzgebung nicht.
Katrin Kunert: Oft kümmert die Bundespolitik der Sachverstand der Kommunen nicht. Deswegen ist DIE LINKE für ein einklagbares Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Gesetzgebung des Bundes in allen Fragen, die sie direkt oder indirekt berühren.

Wird bei Bundestagsentscheidungen gar nicht Rücksicht auf die Finanzsituation der Kommunen genommen?

Katrin Kunert: Nein, das ist ja das Problem. Der Bund hat Aufgaben in die Kommunen verlagert und beteiligt sich nicht angemessen an der Finanzierung. Daher muss das Konnexitätsprinzip – »Wer bestellt, bezahlt« – in das Grundgesetz. Inzwischen haben Kommunen mit einem ausgeglichenen Haushalt Seltenheitswert.

Was machen diejenigen mit Nothaushalten?

Katrin Kunert: »Berater« oder »Zwangsverwalter« werden eingesetzt, finanziellen Spielraum für die kommunale Selbstverwaltung gibt es nicht mehr.

Kerstin Kassner: Es macht einfach keine Freude, immer mehr und mehr Leistungen abzubauen, zumal es vorrangig soziale und kulturelle Projekte betrifft. Dabei verkennen Bundespolitiker oft, dass beispielweise eine fehlende Prävention in der Kinder- und Jugendarbeit später höhere Kosten nach sich zieht.

Der Appell an die Kommunen lautet sparen. Wo passiert das?

Kerstin Kassner: Vor allem bei freiwilligen Ausgaben. Aber auch bei ganz notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen für Gebäude und Straßen.
Katrin Kunert: Auf der Strecke bleiben die Förderung von Kultur, Sport, Beratung und dringend notwendige Investitionen in Kitas, Schulen und Sportstätten.

Wie käme man raus aus diesem Dilemma?

Katrin Kunert: Mit einer soliden Finanzausstattung der Kommunen durch die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer, Abschaffung der Gewerbesteuerumlage und einem höheren Anteil der Kommunen am Gesamtsteueraufkommen.

Interview: Gisela Zimmer