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Gekommen sind Menschen

erschienen in Lotta, Ausgabe 9,

„Women in Exile“ ist eine Initiative von Flüchtlingsfrauen für Flüchtlingsfrauen. Gegründet im Land Brandenburg kümmern sie sich inzwischen bundesweit um frauenspezifische Probleme in den Asylbewerberheimen.“

Elisabeth Ngari ist eine kleine Frau mit vielen Rastalocken, die sie straff am Kopf mit bunten Bändern
zusammenhält. Gekommen ist sie einst aus Kenia, mit ihren beiden kleinen Töchtern. Die sind inzwischen längst erwachsen, denn Elisabeth, die von ihren Freundinnen und Mitstreiterinnen im Verein „Women in Exile & Friends“ liebevoll Betty genannt wird, kam vor 17 Jahren nach Deutschland. Allein, nur die Kinder an der Hand und ohne ein einziges Wort Deutsch zu können. Gelandet in Frankfurt am Main ging es weiter nach Eisenhüttenstadt, in das Erstaufnahmelager für Asylsuchende im Land Brandenburg. „Schrecklich“ sei es gewesen, erzählt sie. Damals, aber auch jetzt wieder, allein in der Erinnerung. Überfüllt war das Lager, viel zu viele Leute in einem Raum, immer war es laut, nie gab es auch nur eine winzige Chance auf Privatssphäre, und es wurden Fragen über Fragen gestellt. Immer dieselben, ohne Beratung und Information, ohne Dolmetscher. Das hat sich auf Elisabeth Ngaris Seele eingebrannt. „Wir wurden verwaltet“, sagt sie, „nicht als Mensch gesehen“. Und sie hat sich geschworen, „sich zu wehren“.
Dabei hatte die Frau aus Kenia „Glück“. Wegen der kleinen Mädchen blieb sie im Erstaufnahmelager nur drei Wochen, in der Regel warten Asylsuchende drei und mehr Monate, bevor ihr Antrag überhaupt bearbeitet wird. In dieser Zeit dürfen sie nicht arbeiten, keine Deutschkurse besuchen und das Schlimmste – sie sind isoliert. Weil untergebracht weit draußen vor den Städten, ohne Kontakt zur heimischen Bevölkerung. „Das zementiert Vorurteile und Klischees“, so Elisabeth Ngari. Am Ende lebten Elisabeth und die Kinder fünf Jahre im Asylbewerberheim Prenzlau bevor sie eine eigene Wohnung beziehen konnten. „Lager“ nennen die Flüchtlingsfrauen von „Women in Exile“ diese Sammelunterkünfte, und sie wollen sie abschaffen. Die schlechten Bedingungen in den Heimen waren es auch, die zur Gründung der „Brandenburger Flüchtlingshilfe“ führten. Das war im Jahr 2012. Elisabeth Ngari zählt zu den Gründungsfrauen, und sie arbeitet heute noch für „Women in Exile & Friends“. Diese Initiative von Flüchtlingsfrauen für Flüchtlingsfrauen ist bundesweit einmalig. Und der Verein setzt sich ausschließlich für Frauen und ihre Kinder ein, denn gerade sie haben spezielle Probleme in den Heimen. Sie sind „in der Minderheit“, erzählt Elisabeth Ngari. So viele Nationen unter einem Dach, zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen. Sie werden „sexuell belästigt, es gab Vergewaltigungen“, und in den geschlechtergemischten Flüchtlingsgruppen werden solche frauenspezifischen Probleme gar nicht erst angesprochen. Sie sind tabu. „Women in Exile“ geht in die Unterkünfte, spricht mit den asylsuchenden Frauen, organisiert Demonstrationen, geht in die Öffentlichkeit, lädt zu Workshops und Seminaren ein, klärt die Frauen über ihre Rechte auf und verhandelt mit politischen Entscheidungsträgern. In Brandenburg konnten sie erreichen, dass es eine landesweite Regelung zur „Anklopfpflicht“ durchgesetzt wurde. Eigentlic eine Selbstverständlichkeit, das Personal in den Heimen sah das nicht so. Und Potsdam ist dazu übergegangen, Familien und Frauen mit Kindern in Wohnungen mitten in der Stadt und nicht mehr in Sammelunterkünften unterzubringen.
Seit 2013 hat „Women in Exile“ damit begonnen, ein bundesweites Netz aufzubauen. „Flüchtlingsfrauen werden laut“, unter diesem Motto fuhren sie auf- und augenfällig mit zwei großen Flößen über Flüsse und Kanäle von Nürnberg nach Berlin. Ein bunter, fröhlicher, musizierender Zug mit vielen Stationen unterwegs, bei denen gemeinsam gekocht, gegessen und geredet wurde – vor allem immer wieder mit Leuten aus der Bevölkerung. Der Mut, das Selbstverständnis und der Einfallsreichtum der Frauen von „Women in Exile“ ist bewundernswert. Denn alle im Verein engagierten Flüchtlingsfrauen haben Tag für Tag eigentlich ganz andere Sorgen und Nöte, ganz alltägliche: das Leben mit Gutscheinen, die Residenzpflicht, die prekären Lebensumstände in den Unterkünften, das Arbeitsverbot, die Angst, abgeschoben zu werden. Zu ihrem Engagement sagt Elisabeth Ngari in ihrer stillen Art: „Ich bin eine Kämpferin.“ Und noch leiser: „Es sind doch Menschen, die gekommen sind.“