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Gebrochene Versprechen

erschienen in Clara, Ausgabe 30,

Der Koalitionsvertrag: Was steht drin? Was wurde verschwiegen? Wo wurde gelogen?

Am 27. November 2013, neuneinhalb Wochen nach der Wahl, verkündeten CDU, CSU und SPD, jeder habe seine wesentlichen Wahlversprechen im Koalitionsvertrag durchsetzen können. Wenn das stimmt, stellt sich die Frage, ob alle drei Parteien das Gleiche versprochen oder ob sie ihre Wahlkampfversprechen vergessen haben?

Keine Steuererhöhung

Diese Wahlkampfforderung der CDU wurde im Koalitionsvertrag verankert. Aber insgesamt umfasst der Vertrag Mehrausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro. Woher dieses Geld ohne Steuererhöhung kommen soll, bleibt das Geheimnis der Großkoalitionäre.

Der Mindestlohn

Er kommt – irgendwie. Er soll 2015 eingeführt werden, aber nicht bundesweit, erst zwei Jahre später, im Jahr 2017, soll er endgültig kommen, ob vor oder nach der nächsten Bundestagswahl, wird nicht erwähnt. Fest steht allerdings: In vier Jahren werden die 8,50 Euro durch Inflation und Kaufkraftverlust nur noch einen Wert von 7,80 Euro haben.

Die Pkw-Maut für Ausländer

Sie steht im Koalitionsvertrag. Ein großer Erfolg, wie Horst Seehofer (CSU) verkündete. Offen bleibt aber die Frage, ob sie überhaupt umgesetzt werden kann, da sie an EU-Richtlinien zu scheitern droht.

Finanzierung der Kommunen

Union und SPD forderten im Wahlkampf gemeinsam eine stärkere finanzielle Unterfütterung der Kommunen. Nun sollen fünf Milliarden Euro in den Infrastrukturerhalt und sechs Milliarden Euro in die Kitas fließen. Bei einer Finanzierungslücke von 121 Milliarden Euro bei Kommunen und Ländern – laut Hans-Böckler-Stiftung – stellt das allerdings nur den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein dar.

Mütterrente

Eltern von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, erhalten einen Entgeltpunkt bei der Rentenberechnung je Kind mehr. Das sind im Westen gerade einmal 28 Euro und im Osten 25 Euro monatlich mehr. Hinzu kommt, dass bisher 3 Entgeltpunkte für Kinder angerechnet worden sind, die nach 1992 geboren wurden und einer für die Kinder vor 1992, das heißt, es gibt immer noch eine Ungleichheit von zwei zu drei Entgeltpunkten. Da das Geld aus der Rentenkasse entnommen werden soll, entfällt dafür wahrscheinlich im nächsten Jahr die Senkung der Rentenbeitragssätze von 18,9 Prozent auf 18,3 Prozent.

Wahlversprechen gebrochen

Die meisten politischen Forderungen fielen bei den Verhandlungen unter den Tisch. Da sie entweder vonseiten der Union oder der SPD verhindert wurden. Während CDU und CSU Abstriche bei ihren Vorstellungen von Mindestlohn und Energiewende machen mussten, gab die SPD viele ihrer Wahlversprechen auf: die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Senkung der Stromkosten, das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, die Abschaffung des Betreuungsgeldes, das Verbot von Waffenexporten, den Kurswechsel in der Europapolitik oder die Durchführung bundesweiter Volksentscheide.

Rente

Im Koalitionsvertrag kann nachgelesen werden, dass diese Koalition zum einen die erste ist, die nun endlich die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost- und Westdeutschland herstellt, und es zum anderen eine »solidarische Mindestrente« von 850 Euro geben soll. Die Wahrheit liegt wie so häufig im Detail: Denn von dieser Rente werden noch Sozialabgaben abgezogen. Des Weiteren gibt es bei der Berechnung einen Unterschied zwischen Ost- und Westrenten. Das führt dazu, dass diese »soziale Lebensleistungsrente« in Westdeutschland 756 Euro ausmacht und in Ostdeutschland gar nur 691 Euro. Und das im 24. Jahr nach der Wiedervereinigung. Darüber hinaus wollte die SPD die Rente mit 67 aufweichen. Wer 45 Jahre versichert war, sollte nach Vorstellung der SPD mit 63 Jahren Anspruch auf Rente erhalten. Während der Verhandlungen wurden aus »Beitragsjahren« allerdings »Versicherungsjahre«. Ein entscheidender Unterschied, da die Ausbildungs- und Studienjahre nicht mit einberechnet werden, Kindererziehungszeiten gelten nur begrenzt, die Regelung für Zeiten, in denen Hartz IV oder ALG I bezogen wurde, sind in der Anrechnung noch nicht geklärt. Auch werden die 63 Jahre ab 2015 mit der Einführung der Rente ab 67 angehoben, sodass kaum jemand von diesem Vorhaben profitieren wird.

Wahllüge Bankenrettung

So wie dieser Vertrag ein Dokument der nicht eingehaltenen Wahlversprechen ist, so wurde auch schon während des Wahlkampfes gelogen. Beispiel Finanzminister Schäuble (CDU). Er wurde nicht müde, im Wahlkampf zu behaupten: »Wenn Banken insolvent werden, dann können nicht die Steuerzahler das Risiko übernehmen, das müssen dann schon diejenigen, die in guten Zeiten mit Banken und mit Geldanlagen Geld verdienen. Die tragen auch das Risiko.« Dies sagte er zu einem Zeitpunkt, als die Bundesregierung gleichzeitig Druck auf Brüssel bei der Verabschiedung einer EU-Richtlinie zur Bankenrettung ausübte. Die Bundesregierung legte Wert darauf, dass zukünftig explizit geregelt wird, dass im Falle einer erneuten Bankenrettung wieder die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zur Kasse gebeten werden sollen.

Koalitionszwang

Des Weiteren konnten sich Union und SPD noch auf eine Regelung ihrer Arbeitsweise im Bundestag einigen, die am Ende des Vertrages zu finden ist: »Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.« Damit sichern sie sich ab, dass der Koalitionszwang über dem eigenen Gewissen des einzelnen Abgeordneten steht.

Alltagssorgen wurden ignoriert

Die Bundesrepublik wird sich weiterhin an Kriegseinsätzen beteiligen. Es werden weiterhin Substanzen, aus denen Giftgas hergestellt werden kann, quer über die ganze Welt, auch an Diktaturen geliefert. Das entwürdigende Hartz-IV-Bürokratiekonstrukt wird unverändert weitergeführt. Es wird weiterhin eine ungerecht finanzierte Zweiklassenmedizin geben. Auch Bildungsungerechtigkeit bleibt erhalten: Die Berufschancen von Kindern aus einkommensschwachen Familien im Vergleich zu einkommensstarken Eltern sind jetzt schon schlecht, werden absehbar noch schlechter werden. Die Schere zwischen Reich und Arm wird seit Jahren immer größer und keine Gegensteuerung der politisch Verantwortlichen ist in Sicht.

Während CDU, CSU und SPD ihre Ministerposten schon besetzt haben, bleibt es spannend, wie Sigmar Gabriel diesen Koalitionsvertrag der SPD-Basis schmackhaft machen will. Denn der Koalitionsvertrag ist für die Parteien erkaufte Zeit, der für das Land Stillstand bedeutet.