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Fukushima: Unterwegs in der Sperrzone

Von Dorothée Menzner, erschienen in Klar, Ausgabe 24,

Ein Jahr nach dem GAU besuchte die Abgeordnete Dorothée Menzner die verstrahlte Region von Fukushima. Mit Klar sprach sie über dramatische Entdeckungen.

In Japan haben Sie an einer Demo der Anti-AKW-Bewegung teilgenommen. Wie hat sich die Bewegung entwickelt?

Sie ist viel größer geworden. Auf der Demo in Tokio waren Anfang Februar Zehntausende unterwegs. Noch vor einem Jahr völlig undenkbar.

Welche gesellschaftlichen Gruppen sind aktiv?

Vor allem Frauen und Mütter. Sie haben es sogar geschafft, Prominente zu mobilisieren. Das ist in Japan gar nicht so leicht, denn für Prominente ist ein Engagement mit ökonomischen Einschnitten verbunden. Sie bekommen kaum noch Aufträge und Auftritte.

Warum?

Weil die Atomkonzerne mit den Massenmedien eng verwoben sind. Sie sind die größten Geldgeber. Und atomkritische Prominente finden in den Medien nicht mehr statt. Von einer kritischen Berichterstattung zur Atomenergie in den großen Medien ganz zu schweigen.

Nicht einmal nach solch einer Katastrophe?

Von kleinen Zeitungen und Sendern abgesehen – nein. Um den kritischen Journalismus ist es in Japan nicht gut bestellt –
auch um die Demokratie nicht. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wünschen den schnellen Atomausstieg. Aber darum schert sich die Regierung nicht. Sie steckt mit den Konzernen unter einer Decke und schützt deren Interessen.

Sie waren in der Region von Fukushima, wie ist die Lage dort?

Ich habe Fukushima-Stadt besucht, die nahe der Sperrzone liegt. Es ist eine sterbende Stadt. Vor der Katastrophe lebten dort noch zwei Millionen Menschen, jetzt verlassene Straßenzüge überall. Geblieben sind vor allem jene, die sich einen Umzug nicht leisten konnten.

Was weiß man über die Sperrzone?

Nicht viel. Aber: Ein Filmteam hat mich auf der Reise begleitet. Ihnen gelang es, die Sperrzone in der Nähe von Fukushima-Stadt zu betreten. Dort entdeckten sie etwas Dramatisches: Spuren von ersten Rekonstruktionsarbeiten an Häusern. Die Menschen haben offensichtlich nach der Katastrophe angefangen, ihre Häuser wieder aufzubauen, bevor sie endgültig wegmussten. Die Behörden haben das trotz der Verseuchung viel zu lange zugelassen.

Was lässt sich über die gesundheitlichen Gefahren für die Menschen rund um die Sperrzone, zum Beispiel in Fukushima-Stadt, sagen?

Dass Krebserkrankungen und Missbildungen bei Kindern zunehmen werden. Aber all das Erfahrungswissen zu bisherigen Katastrophen zeigt auch, es geht nicht nur um Regionen in der Nähe des Reaktors.

Sondern?

Ich habe einen Experten getroffen, dessen Worte ich nicht vergessen werde: den 96-jährigen Arzt Hida, der die Opfer des Atombombenabwurfs auf Hiroshima versorgte und über Strahlenschäden forscht. Eigentlich hält er es für notwendig, für einen gewissen Zeitraum ganz Japan zu evakuieren. Denn auch niedrige Strahlung schädigt, und es gibt gesundheitliche Folgen, die sich nicht in sofortigem Tod, Krebs oder Missbildungen bei Kindern ausdrücken.

Was passiert eigentlich mit dem verstrahlten Müll in Japan?

Wohin mit all den verstrahlten Abfällen aus der Region Fukushima – das weiß niemand. Ursprünglich sollte der Müll gleichmäßig auf alle Regionen verteilt und verbrannt werden. Damit hatte man angefangen und die Strahlenlast im gesamten Land weiter erhöht. Dies wurde nun gestoppt und eine Endlagerdiskussion begonnen. Ich wurde auch oft gefragt: Wie macht ihr das in Deutschland?

Und was haben Sie erzählt?

Dass wir das gleiche Problem haben wie die Japaner: Wohin mit dem ganzen Atommüll – das weiß derzeit noch keiner.

 

Dorothée Menzner ist
energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

Interview: Benjamin Wuttke