Zum Hauptinhalt springen

»Für soziale Gerechtigkeit und Frieden«

erschienen in Clara, Ausgabe 44,

Mit welchem Ziel gehen Sie an die bevorstehende Bundestagswahl heran?

Sahra Wagenknecht: Unser Ziel ist eine grundlegend andere, sozialere Politik. Der Sozialstaat, der seit Jahren zerstört wurde, muss wiederhergestellt werden. Es ist ein Riesenskandal, dass in Deutschland Millionen Kinder in Armut aufwachsen. Dass Familien in Städten keine bezahlbare Wohnung mehr finden. Dass Millionen Menschen sich jahrzehntelang mit mies bezahlten, unsicheren Jobs durchs Leben schlagen müssen und im Alter dann eine Armutsrente ansteht.

Dietmar Bartsch: Wir wollen drittstärkste Kraft im Deutschen Bundestag bleiben, das Wahlergebnis von 2013 überbieten und möglichst zweistellig werden. Mir ist wichtig, die Auseinandersetzung mit der fremdenfeindlichen, rassistischen und chauvinistischen AfD so zu führen, dass sie nicht in den Bundestag einzieht.

Wagenknecht: Je stärker die Fraktion DIE LINKE im nächsten Bundestag ist, desto größer ist der Druck, dass sich etwas ändert.

 

Viele Familien mit normalem und kleinem Einkommen empfinden das Alltagsleben als sozial ungerecht. Wie wollen Sie das ändern?

Wagenknecht: Wir wollen das Kindergeld auf 328 Euro erhöhen. Die Fahrt in Bus und Bahn soll für alle Kinder unentgeltlich sein. In allen Kitas und Schulen muss es ein kostenloses Mittagessen geben. Von der Kita bis zur Hochschule – alle Kinder sollen gleiche Bildungschancen haben, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern. Wir wollen das Elterngeld auf zwei Jahre verlängern und die verbreitete Armut von Alleinerziehenden bekämpfen, etwa indem der Unterhaltsvorschuss so lange gezahlt wird, bis das Kind erwachsen ist.

 

Und beim Thema Steuern?

Wagenknecht: Bei der Lohn- und Einkommensteuer wollen wir den Grundfreibetrag von derzeit 8.652 Euro auf 12.600 Euro anheben. Zusammen mit dem höheren Kindergeld würde das für eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 42.000 Euro brutto eine Entlastung von bis zu 5.000 Euro bringen. Es ist auch ökonomisch sinnvoll, Millionäre stärker zu besteuern und Menschen mit geringem Einkommen zu entlasten.

 

DIE LINKE wirbt für eine solidarische Gesundheitsversicherung. Was ist das Besondere an diesem Konzept?

Bartsch: Die gesetzliche Krankenversicherung wurde einst als System der Solidarität entwickelt. Real aber gibt es eine Zwei-Klassen-Medizin. Wir wollen eine Solidarische Gesundheitsversicherung, in die alle einzahlen. Auch Angestellte, Beamte, Politiker und Selbstständige. Die Beiträge würden merklich sinken. Besonders Versicherte mit kleinem und mittlerem Einkommen und Familien würden davon profitieren.

 

Wie genau?

Bartsch: Zuzahlungen, beispielsweise für Medikamente oder Krankenhausaufenthalte, schaffen wir damit ab. Und wir führen die Parität bei der Finanzierung wieder ein. Das heißt, Arbeitgeber und Beschäftigte zahlen wieder zu gleichen Teilen ein. So kann der Beitragssatz von derzeit durchschnittlich 15,7 Prozent dauerhaft auf unter 12 Prozent abgesenkt werden, und zwar ohne bei den Leistungen zu kürzen.

 

Niedrigere Beiträge, aber mehr Leistung. Haben Sie das Konzept durchgerechnet?

Wagenknecht: Natürlich! Wenn die ungerechten Privilegien für Besserverdienende und Arbeitgeber abgeschafft werden, ist ja viel mehr Geld im Topf. Wir wollen nicht, dass immer mehr privat zugezahlt werden muss, sondern dass gute Kassenleistungen für alle gelten. Dazu gehört etwa auch, dass die Kassen wieder Brillen und Zahnersatz übernehmen.

 

Herr Bartsch, Sie haben vor gut einem halben Jahr ein bundesweites Netzwerk gegen Kinderarmut ins Leben gerufen. Was ist seitdem passiert?

Bartsch: Wir konnten prominente Frauen und Männer aus Vereinen, Sozialverbänden, Kultur und Politik für das Netzwerk gewinnen. Zusammen haben wir intensiv über Kinderarmut, über ihre Ursachen und Folgen diskutiert und auch schon etliche Vorschläge gemacht, wie Kinderarmut beseitigt werden kann. Inzwischen liegt eine faktenreiche Studie vor. Sie erhellt viele Zusammenhänge und benennt klar Aufgaben für die nächste Legislaturperiode. Aber schon jetzt haben wir so viel Öffentlichkeit erreicht, dass eine neue Regierung – wie auch immer geartet – das Thema Kinderarmut nicht mehr wie bislang ignorieren kann.

 

Krasse Unterschiede bei Löhnen und Gehältern, massenhaft drohende Altersarmut. Davon sind sehr viele Menschen betroffen. Wie will die Fraktion DIE LINKE die Arbeitswelt verändern, Frau Wagenknecht?

Wagenknecht: Wir wollen gut bezahlte, sichere Arbeitsplätze. Weg mit Dumpinglöhnen und Dauerstress! Wir kämpfen für einen gesetzlichen Mindestlohn von12 Euro pro Stunde, für kürzere Arbeitszeiten und für eine Überwindung des Hartz-IV-Zwangsregimes mit seinen Schikanen. Die Lohndrückerei über Werkverträge und Leiharbeit muss verboten und grundlos befristete Arbeitsverträge müssen entfristet werden. Tarifverträge müssen für alle Beschäftigten in einer Branche gelten.

 

Welche Vorschläge unterbreitet die Fraktion DIE LINKE in der Rentenpolitik?

Wagenknecht: Statt einer zunehmenden Privatisierung der Rente wollen wir die gesetzliche Rente stärken. In Österreich, wo eben neben den Beschäftigten auch Selbstständige und Beamte in denselben Rententopf einzahlen, hat ein durchschnittlicher Rentner 800 Euro mehr im Monat zur Verfügung. So sollte man es machen.

 

Auf der Facebook-Seite der Fraktion ist zu lesen: Geht raus, geht zu den Menschen, sie brauchen Hintergrundwissen und Fakten. Erleben Sie das so?

Bartsch: Wir halten keine Fensterreden im Parlament, sondern machen Politik für die Menschen im Land. Darum sind wir viel vor Ort, auch außerhalb von Wahlen. Es stimmt, viele Menschen glauben nicht mehr daran, dass Wahlen etwas bringen und Politik für sie im Alltag positiv etwas verändert. Im direkten Gespräch wandelt sich diese Einstellung dann häufig: Doch, es ändert sich was, wenn du es willst, wenn du selbst etwas tust.

 

Diese Botschaft überzeugt wirklich?

Bartsch: Ich erlebe das an Schulen und Universitäten. Mir macht Hoffnung, dass besonders junge Leute viel erfragen, selbst schon ein großes Hintergrundwissen haben. Die bisherigen Landtagswahlen haben ja auch gezeigt, dass DIELINKE sowohl in großen Städten als auch von jungen Leuten gewählt wurde. In dieser Generation findet wieder eine Politisierung statt. Das ist toll, und es macht Spaß, mit so kritischen Menschen zu diskutieren.

 

Welche Besonderheit erwarten Sie im Wahlkampf 2017?

Wagenknecht: Soziale Medien werden eine große Rolle spielen. Das ist ein Vorteil, weil man schnell auf Ereignisse reagieren kann und nicht so stark von etablierten Medien abhängig ist. Soziale Medien können aber auch von anderen für üble Schmutzkampagnen genutzt werden. Es gibt viel Verunsicherung in der Gesellschaft, Themen und Stimmungen drehen sich schnell. Ich rechne mit einer harten Auseinandersetzung, auch mit unfairen Angriffen. Da müssen wir geschlossen bleiben und gut parieren. Entscheidend ist zu zeigen, wofür die Fraktion DIE LINKE steht: für soziale Gerechtigkeit und Frieden, für eine bessere Politik!

 

Interview: Gisela Zimmer