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Für DIE LINKE im Ethikrat: Stammzellforscher Prof. Dr. Emmrich

erschienen in Clara, Ausgabe 6,

Auf einer Indien-Reise von Bildungsministerin Schavan, an der im Frühjahr 2007 Parlamentarier des Bundestages und Wissenschaftler teilnahmen, lernte Petra Sitte, forschungs- und technologiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Prof. Dr. Frank Emmrich kennen. Er ist ein herausragender Stammzellforscher und Direktor des Leipziger Fraunhofer Instituts für Zelltherapie und Immunologie. Nach intensiven Gesprächen nominierte ihn DIE LINKE für den Deutschen Ethikrat. »Clara« im Gespräch mit Prof. Frank Emmrich:

Prof. Emmrich, Sie sind Mediziner, Stammzellforscher und Institutsdirektor -
jetzt auch noch Mitglied im Deutschen Ethikrat. Haben Sie noch Reserven?

Prof. Emmrich (lacht): Frau Dr. Sitte hat mir versichert, dass ich Unterstützung bekomme. Ich bin kein ausgebildeter Ethiker, sondern Mediziner, Forscher und habe eine administrative Verantwortung in diesem Bereich. Ich habe mir persönlich vorgenommen, mir auch das nötige Rüstzeug für
diese ethische Funktion anzueignen.

Worin sehen Sie Ihre Aufgabe im Ethikrat?

Ich bin dort einer von 24 Experten. Diese Experten kommen natürlich aus allen gesellschaftlichen Richtungen und mit
sehr verschiedenen Erfahrungshinter-gründen. Als Wissenschaftler bin ich jemand, der in der Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung steht. Das,
was wir entwickeln, muss in meinem Fall
in die klinische Anwendung am Patienten
als therapeutisches Verfahren gehen.
Das bringt natürlich bestimmte Über-legungen mit sich, die auch von ethischen Grundauffassungen getragen sein müssen. Ich sehe es als meine Aufgabe an, in dem Gremium über die komplexen wissenschaftlichen, medizinischen und auch logistischen Hintergründe Aufschluss zu geben, um eine möglichst gute Problemlösung zu finden.

Die Stammzellforschung ist nicht unumstritten und auch in unserer Fraktion gibt es unterschiedliche Auffassungen. Wie gehen Sie damit um?

Die Meinungen zum Gesetz zur Stammzellenforschung gehen in allen Parteien intern sehr auseinander. Das Gleiche beobachten wir auf europäischer Ebene. Die EU legt keine einheitliche Ethiknorm fest, weil das Aufgabe der einzelnen Nationalstaaten ist. Natürlich hat das auch erhebliche Konsequenzen für grenzüberschreitende Wissenschaftskooperationen oder auch wirtschaftliche Aktivitäten. Man würde sich vielfach wünschen, dass es eine einheitliche Norm gäbe. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass es dazu kommt. Und so ähnlich ist es wahrscheinlich auch in den Parteien. Aber ich finde, dass das ein Prozess ist, der durchaus sehr verständlich ist. Das ist
zwar schwieriger, aber wahrscheinlich muss man es sich auch so schwierig machen.

Welche Chancen stecken in der Stammzelltherapie?

Die regenerative Medizin birgt große Chancen, weil sie ein sehr viel heterogeneres Feld von Entwicklungen, Produkten und Verfahren als beispielsweise die Gen-Therapie bietet. Das Spektrum reicht vom Biomaterial als Medizinprodukt bis
hin zu den pluripotenten Stammzellen oder den embryonalen Stammzellen, die lange Entwicklungsachsen haben. Da darf man die Geduld nicht verlieren. Die embryonalen Stammzellen haben den enormen Vorteil, dass sie sich in einem großen Maße in
alle Gewebe hineinentwickeln lassen,
zum Beispiel in die Insulin-produzierende Inselzelle aus der Bauchspeicheldrüse, die
ja für Diabetesbehandlungen eine ganz spannende Verheißung ist. Die können wir noch nicht aus den adulten oder pluripotenten Stammzellen der Erwachsenen oder
aus Nabelschnurstammzellen herstellen. Das wäre einer der Gründe, warum wir
auch an embryonalen Stammzellen forschen müssen.

DIE LINKE tritt für eine Änderung der Stichtagsregelung ein. Worin sehen Sie den Sinn der starken Reglementierung durch das Stammzellgesetz?

Man befürchtete, dass die Forscher eine Art »Sog« für die Produktion embryonaler Stammzellen erzeugen, um forschen zu können. Das wollen wir nicht. Wir wollen keine »verbrauchende Embryonenforschung«, wie beispielsweise durch Invitro-Befruchtung, womit Stammzellen dann nur für Forschungszwecke erzeugt werden. In anderen Ländern, die eine liberalere Gesetzgebung haben, wie in Großbritannien oder Spanien, passiert das auch nicht.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?

In Deutschland ist es so, dass die übrigbleibenden Stammzellen von Invitro-Befruchtungsversuchen nach Ablauf
einer Frist vernichtet werden müssen.
Die Wissenschaft argumentiert dagegen: Wenn die Eltern bzw. die potenziellen Mütter gefragt werden und wenn der Umgang damit auch entsprechend staatlich kontrolliert wird, wie das zum Beispiel in Großbritannien der Fall ist, sollte Forschung erlaubt sein.
Ich bin dafür, die Vorgehensweise von Großbritannien im Embryonenschutzgesetz zu übernehmen. Das wird in Zukunft zu diskutieren sein und wäre ein Thema, das den Ethikrat beschäftigen könnte, was mit dem Stammzellengesetz überhaupt nichts zu tun hat. Beim Stammzellengesetz geht es um zwei Dinge, nämlich um die Änderung der Stichtagsregelung. Mein Vorschlag wäre: entweder man findet einen neuen Stichtag, der nicht so weit
in der Vergangenheit liegt, oder man legt einen nachhängenden Stichtag fest. Das ist ein Stichtag, der immer ein halbes Jahr hinter dem aktuellen Datum herläuft.
Wir wollen aus ethischen Überlegungen keinen Druck erzeugen, dass für unsere Zwecke irgendwo humane embryonale Stammzellen produziert werden. Aber wenn sie international sowieso hergestellt werden, sollen sie unter Kontrollen eingeführt werden können, wenn sie älter als ein halbes Jahr nach dem derzeitigen Datum sind. Ein zweiter wichtiger Kritikpunkt am Stammzellengesetz ist, dass deutsche Wissenschaftler, wenn sie
im Ausland an humanen embryonalen Stammzellen forschen, strafrechtlich verfolgt werden können und immerhin bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe möglich ist. Das muss dringend verändert werden.

Politiker regieren durch die beschlossene Gesetzgebung in Ihr Fachgebiet hinein. Haben Sie den Eindruck, dass sie das mit dem nötigen Sachverstand tun?

Das ist schon mein Eindruck. Die sehr intensive Debatte im Bundestagssausschuss war für mich in dieser Form das erste Erlebnis. Mich haben die Ernsthaftigkeit und die Detailgenauigkeit schon sehr positiv beeindruckt. Da ist eine Menge Verantwortungsgefühl dabei. Aus meiner Perspektive als Wissenschaftler finde ich diese Mechanismen sehr richtig und wichtig, weil sie jeden Einzelnen betreffen. Hinzu kommt, dass die Gelder für Forschung Steuergelder von uns allen sind,
die richtig und sinnvoll eingesetzt werden müssen. Das ist ohne eine politische Kontrolle undenkbar.

Was wünschen Sie sich künftig von aufgeklärter Politik?

Ich wünsche mir, dass die Politik an den aktuellen Entwicklungen teilnimmt und bereit ist, über Änderungen nachzudenken. Es ist wirklich nicht einfach, auf allen Ebenen, von der kommunalen bis zur internationalen Politik, Schritt zu halten, Debatten, Entscheidungen, Regeln und das Lenken von Geldströmen an diese neuen Erfordernisse anzupassen. Man kann nicht alles voraussehen, aber man muss bereit und offen sein, immer wieder die Entscheidungen von gestern in Frage zu stellen und nach besseren zu suchen. Das wäre mein Wunsch an die Politik.

Das Gespräch führte Marion Heinrich