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Europas trügerische Stille

Von Sahra Wagenknecht, erschienen in Clara, Ausgabe 30,

Die Bankenrettung geht weiter. Irland und Spanien wollen keine »Hilfskredite« mehr beanspruchen, sondern sich Geld wieder auf dem Kapitalmarkt leihen. Eine Besserung für die Menschen bedeutet das nicht, erläutert Sahra Wagenknecht.

Sicher, Banken und Hedgefonds können mit der Staatsverschuldung wieder ein sicheres Geschäft machen. Das ist das alleinige Verdienst von Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Bankenlobbyist, ehemaliger Goldman-Sachs-Boy und Merkel-Freund. Ihm nahmen die Finanzmärkte ab, dass er notfalls jede Staatsanleihe mit neuem, von ihm selbst gedrucktem Geld kaufen würde. Dadurch wurden die Zinsen für eine Kreditaufnahme der Staaten gedrückt und die Börsenkurse der Staatsanleihen auf höherem Niveau stabilisiert. So können sich die Banken nun vom europäischen Oberbankster Draghi zu einem Mikrozinssatz von 0,25 Prozent nahezu umsonst und unbegrenzt Geld geben lassen und es zu vielfach höheren Zinsen an die Staaten weiterverleihen. Demnächst auch wieder in großem Umfang an Spanien und Irland. Diese Konstellation ist eine perfekte Lizenz, um erneut in großem Maßstab leistungs- und risikolose Profite mit der Staatsverschuldung zu machen.

Aber bedeutet eine stabile Seitenlage für die Finanzbranche, in der sich auch viele Zombiebanken befinden, auch eine Verbesserung für die Menschen? Die ökonomischen Daten müssen skeptisch stimmen. Die Schuldenquote, also die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, wird einschließlich dieses Jahres in allen Krisenländern weiter ansteigen. Italien, Irland und Portugal erreichen Ende 2013 eine Staatsschuldenquote von rund 130 Prozent. Ein Niveau, bei dem Griechenland im Jahr 2010 als erstes Land der Eurozone »Hilfskredite« beantragte. Griechenlands Schuldenquote wird Ende des Jahres sogar auf 175 Prozent klettern. Zyniker könnten sagen, dass die heutige Lage für Italien, Irland und Portugal sich von der damaligen Lage Griechenlands im Mai 2010 positiv unterscheide. Denn durch die katastrophale Kürzungspolitik bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen sowie die exorbitante Arbeitslosigkeit haben die Menschen in den Krisenländern inzwischen nur noch wenig Geld für Konsumausgaben in der Tasche. Dadurch sind die Importe dieser Länder extrem stark gefallen und die Defizite in ihren Handelsbilanzen konnten fast vollständig abgebaut werden. Die Verschuldung gegenüber dem Ausland nahm so kaum noch zu.

Das wird aber nichts nützen, weil trotzdem die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung in den Krisenländern immer weiter zunimmt. Das liegt daran, dass die Binnenwirtschaft eine vielfach höhere Bedeutung für die gesamte Wirtschaftsleistung hat als der Außenhandel. Im Ergebnis verharren die Krisenländer in der Rezession oder bestenfalls Stagnation. Selbst bei einer Stagnation sind die öffentlichen Haushalte dazu gezwungen, die Zinsmarge für die Banken durch einen Überschuss bei den anderen Ausgaben und Einnahmen zu »erwirtschaften«. Der ideologisch verbohrte Reflex der herrschenden Politik wird sein, diese Überschüsse im Staatshaushalt durch die üblichen Kürzungen bei Sozialausgaben, Löhnen und Renten zu erreichen. Der Krisenkreislauf aus Kürzungen, negativem oder zu geringem Wirtschaftswachstum und steigender Schuldenlast kann so nicht durchbrochen werden.

Die Krise für die Menschen kann auch deshalb nicht vorbei sein, weil die Bankenrettung zu ihren Lasten nicht vorbei ist. Dabei geht es um nicht weniger als eine Billion Euro. Auf diese gigantische Summe werden die faulen Kredite in den europäischen Bankbilanzen geschätzt. Wer wird für die damit entstehenden finanziellen Verluste in Haftung genommen werden? Werden es die Eigentümer und Gläubiger der Bank sein oder ist es die Bevölkerung? Die geplante Bankenunion auf europäischer Ebene wird das laufende Drama der Bankenrettungen zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler jedenfalls nicht beenden.

Das hat zwei entscheidende Gründe: Erstens enthalten die Regeln des vorliegenden Entwurfs aus Brüssel zwar Bestimmungen zur Beteiligung von Gläubigern und Eigentümern an einer Sanierung oder Abwicklung einer Bank, aber diese »Bail-in«-Regelungen enthalten derartig viele Ausnahmen und Optionen, dass es in der Praxis zu keiner ausreichenden Beteiligung der Gläubiger kommen wird. Zweitens soll der angestrebte europäische Bankenrettungsfonds, der aus Abgaben der Finanzinstitute gespeist werden soll, nur mit einer für diesen Zweck lächerlich kleinen Zielgröße von rund 55 Milliarden Euro ausgestattet werden. Zum Vergleich: Allein die griechischen Banken haben im Laufe der sogenannten Eurokrise bereits 50 Milliarden Euro aus der EFSF, die spanischen Banken gut 40 Milliarden Euro aus dem ESM und die irischen Banken knapp 70 Milliarden Euro vom Staat erhalten. Ganz zu schweigen von den darüber hinaus noch vorhandenen faulen Krediten in Höhe von einer Billion Euro in den Bilanzen der europäischen Zombiebanken.

Entgegen der öffentlich zur Schau gestellten Ziererei ist sich die große Koalition in spe aus CDU/CSU und SPD in Wirklichkeit einig, dass sie die Bankenunion und den darin indirekt verankerten Rückgriff auf Steuergelder in ungeheurer Größenordnung zur Bankenrettung nicht grundsätzlich verhindern will. DIE LINKE dagegen wird diesen institutionalisierten Bankenrettungsmechanismus auf europäischer Ebene ablehnen.

Über ein angebliches Ende der Krise können auch die Sparer in Deutschland nur bitter lachen. Während die Banken wieder einen sicheren Profit mit der Staatsverschuldung machen, werden sie momentan Jahr für Jahr kalt enteignet. Die folgende Rechnung macht das deutlich: Die Sparkasse zahlt aktuell für Beträge auf ihrem klassischen Sparbuch 0,5 Prozent Zinsen. Die Lebenshaltungskosten aber steigen gegenwärtig um rund 1,5 Prozent. So verliert der gesparte Betrag ständig an Kaufkraft. Nach Berechnungen der Postbank büßen die Sparvermögen bei Banken in Deutschland in diesem Jahr zirka 14 Milliarden Euro an Wert ein.

Die sogenannte Eurokrise macht also bestenfalls eine gefühlte Pause. Es ist eine Friedhofsruhe, in der still und leise die Zukunft vieler Menschen – insbesondere in den Krisenländern – zerstört wird. Das muss sich ändern. Europa braucht dringend eine sozial gerechte Bekämpfung der Krisenfolgen. Auch dazu ist eine starke Linke im Europaparlament nötig.

Sahra Wagenknecht ist 1. Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE