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Europäischer Bericht über sexuelle und reproduktive Gesundheit gescheitert

erschienen in Lotta, Ausgabe 6,

Die Ablehnung ist ein Angriff auf sicher geglaubte Frauenrechte.

Erkämpft durch politische Bewegungen zählt das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung heute zu den weithin akzeptierten zentralen Menschenrechten. Vielen in Deutschland ist jedoch kaum bewusst, dass der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft nach wie vor ein Straftatbestand ist, geregelt im Abschnitt 16 des Strafgesetzbuchs (Straftaten gegen das Leben). Mit der Pflichtberatung zum Schwangerschaftsabbruch scheint man sich arrangiert zu haben, die Praxis ver- mittelt den Eindruck „entspannter Liberalität“, so die Strafrechtlerin Monika Frommel. Die Auseinandersetzungen der Wendezeit, auch in der Abtreibungs- frage, liegen weit zurück, und dass es in der DDR ein modernes diesbezügliches Recht gab, scheint vergessen. Die Liberalisierung des Abtreibungsrechts in der Schweiz 2002, in Portugal 2007, in Spanien 2010 sind Errungenschaften unseres neuen Jahrtausends. Der rezept- freie Zugang zur Pille danach in den meisten europäischen Ländern ebenso wie die 2010 von der Weltgesundheitsorganisation, Regionalbüro Europa, und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung formulierten Standards der Sexualaufklärung setzen Zeichen für sexuelle und reproduktive Rechte.

Und doch gilt bis heute: Ansprüche von Frauen auf Gesundheit, auf das Recht, über ihren Körper, ihre Sexualität, ihr Leben selbstbestimmt entscheiden zu können, mussten und müssen durchgesetzt werden gegenkonservative und paternalistische Kräfte, gegen deren Argumente und lobbyistischen Verflechtungen mit politischen Entscheidungsträgern, nicht selten in Personalunion. Besonders problematisch wird es, wenn es um Abtreibung geht. Ein Recht auf den Abbruch ungewollter Schwangerschaften ist auch in den reproduktiven Rechten der Kairoer Erklärung von 1994 nicht enthalten. In der EU ist zwar vieles geregelt, sobald es aber um Familie, Abtreibung, Partnerschaft geht, sind länderübergreifende Beschlüsse kaum möglich. Ereignisse der letzten Monate zeigen, wie fragil die Situation ist. Tausende demonstrierten in Paris gegen die beabsichtigte Reform des Abtreibungsrechts. Es sollte ein wirkliches Recht auf selbstbestimmten Zugang zum Abbruch ermöglichen, die Rechtfertigung mit einer „verzweifelten Lage“ und die Pflichtberatung aufheben. In Spanien wurde gut drei Jahre nach der Liberalisierung mit dem Ende Dezember 2013 beschlossenen „Gesetz zum Schutz des empfangenen Lebens und der Rechte der schwangeren Frau“ der Abbruch einer Schwangerschaft generell unter Strafe gestellt. Zukünftig soll gel- ten: Abbruch nur bei „Gefahr für die physische und psychische Gesundheit der Frau“ sowie nach einer Sexualstraftat. Eine Volksbefragung in der Schweiz, die den Frauen die Kosten eines Abbruchs aufbürden sollte, ging mit einem 70 Prozent Votum für die Beibehaltung der Kassenfinanzierung aus.

Last but not least scheiterte im Dezember 2013 der „Estrela-Bericht“ über sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte, abgelehnt vor allem von der Fraktion der Europäischen Volkspartei in Brüssel. Christa Klaß, aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion, warnte vor einer „Überhöhung der sexuellen Rechte der Frauen“. Man fürchtet ein „Menschenrecht auf Abtreibung“ und einen „zwangsweisen Sexualkundeunterricht“.

Solche Entwicklungen machen besorgt. Es sind nicht mehr nur ultrareligiös motivierte, fundamentalistische „Pro Life“- Aktivistinnen und Aktivisten. Zu be- obachten ist eine Revitalisierung von Religion in unserer säkularer gewordenen Welt. Sie ist verknüpft mit dem Anspruch, die Familie zu retten. Als Gefahr für die „natürliche Familie“ werde Homosexualität, die Emanzipation von Frauen und Abtreibung ausgemacht. In Spanien, Frankreich und anderen Ländern formieren sich emanzipatorische, vom Pro-Choice-Gedanken getragene Bewegungen, in Deutschland geschieht das nur verhalten. Zu komfortabel scheint der faktische Zugang zu reproduktiven Rechten (noch?), zu fest implementiert die Botschaft des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch im Bewusstsein, zu irritierend oder überzeugend die ethische Debatte über Status und Schutzwürdigkeit des Embryos in seinen unterschiedlichsten Perspektiven, zu weit weggerückt die Notwendigkeit, Rechte von Frauen selbst zu vertreten. Das schier endlose Ringen um die rezeptfreie Vergabe der Pille danach, der extrem erschwerte Zugang zu Verhütung für sozial benachteiligte Frauen und Männer und die nachhaltigen Initiativen gegen des Recht auf eine selbst- bestimmte Entscheidung im Kontext ungewollter Schwangerschaft bestätigen die Notwendigkeit engagierten Miteinanders für sexuelle und reproduktive Rechte auch in Deutschland.

Prof. Dr. Ulrike Busch ist Sozialwissenschaftlerin, lehrt an der Hochschule Merseburg und ist Landesvorsitzende von pro familia Berlin