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Es rettet uns kein höheres Wesen

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

»Vor Gericht und auf hoher See sind alle in Gottes Hand«, heißt es. Stimmt dies, so muss es Gott mit der Kyritz-Ruppiner Heide gut meinen. Die liegt im Nord-Osten der Bundesrepublik an der Grenze von Brandenburg zu Mecklenburg-Vorpommern. Die Region ist schön und umkämpft. Seit 1992 will die Bundeswehr von ihr Besitz ergreifen. Und genau so lange bündelt sich Widerstand, auf Ostermärschen, mit Alltagsprotesten, in Kirchen, vor Gerichten. Am 27. März 2009 wurde das nunmehr 24. Urteil gefällt - wieder gegen die Bundeswehr und damit auch gegen die Bundesregierung.

Das umstrittene Areal umfasst 144 Hektar. Zu Zeiten des kalten Krieges probte dort die Sowjetarmee den Ernstfall. Danach keimte Hoffnung auf Ruhe, Frieden und Zukunft auf. Sie trog. Denn alsbald wollte ebenda die Bundeswehr üben, wie man Bomben zielsicher abwirft. Das »Bombodrom«, wie das riesige Gelände im Volksmund heißt, soll wiederbelebt werden. Diese Pläne bestehen bis heute fort. Ganze NATO-Geschwader drängen auf ihren Einsatz in der Kyritz-Ruppiner Heide. Die Einheimischen sehen Schwarz. Und Gelb und Rosa und Grün.

Denn egal, welche Parteien die Regierungen nach der deutsch-deutschen Vereinigung auch stellten, keine stoppte die Bomben-Pläne. Wohl bemerkt: im Bund. Vor Ort sieht es ganz anders aus. Die Landesparlamente von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fassten schon vor Jahren unisono Beschlüsse für eine friedliebende, naturfreundliche und touristische Perspektive. Wohl wissend, es gibt keine andere Hoffnung für diese Region.

Wichtiger ist: Seit 17 Jahren kämpfen Bürgerinitiativen gegen die Militarisierung ihrer Heimat. Sie seien die »zähesten Ost-Deutschlands«, schwelgte der »Spiegel«. Noch süßer klangen zwei Ehrenworte: Wenn wir die Regierung übernehmen, wird das Gelände nicht mehr Truppenübungsplatz sein. Das versprach dereinst Rudolf Scharping. Ein Bombenabwurfplatz sei schlicht unnötig, befand Peter Struck. Es waren Meineide. Beide SPD-Politiker vergaßen ihr Geschwätz von gestern sehr schnell.
Auch Templin läge im Einflugsbereich der drohenden NATO-Bomber. Werbend stellt sich die Kleinstadt in der Uckermark als »wirtschaftlich auf Erholung, Gesundheit und Touristik ausgerichtet« dar. Unter der Rubrik berühmte Persönlichkeiten verweist die Homepage des Ortes übrigens auf einen Horst Kasner. Ein Pfarrer, der 1954 von Ham-burg nach »drüben« übersiedelte. Er wäre wohl längst dem Vergessen anheim gefallen, hätte er nicht eine namhafte Tochter. Sie heißt Angela Merkel und ist derzeit Bundeskanzlerin.

Fällt das Reizwort »Bombodrom«, so schaltet die prominente CDU-Landsfrau auf stumm. Öffentlich lässt sie lediglich verlautbaren, dass sie dafür sei. Noch weiter nördlich, nämlich östlich der Insel Rügen, ist obendrein ein neuer Luft-Wasser-Schießplatz geplant. Wieder formiert sich Protest. Diesmal also sogar im Wahlkreis der Bundeskanzlerin, in einer ansonsten blühenden Landschaft für Urlauber. Doch allerorten ist die NATO, Raum greifend, weltweit und daheim.

Also wird spekuliert: Warum kippen Politiker bei Militär-Objekten reihenweise um? »So sind sie eben«, sagen die einen. Andere befürchten, es gäbe geheime NATO-Verträge, die drohend über dem Grundgesetz schweben. Das wäre schlimmer. Wie heißt es im offiziellen Amtseid? Ich schwöre, dass ich das Grundgesetz verteidigen werde. »So wahr mir Gott helfe.« Was aber wird, wenn der nicht hilft? Also war ich erneut beim Ostermarsch in der Kyritz-Ruppiner Heide. Denn noch immer gilt: »Es rettet uns kein höheres Wesen …«