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Es geht nur ums Geld

erschienen in Clara, Ausgabe 9,

Vom Verschleudern des öffentlichen Eigentums -wie die Deutsche Bahn von Lobbyisten und Politikern überrollt wird.

Die negativen Erfahrungen mit der Bahnprivatisierung in aller Welt - von Großbritannien bis Argentinien, Neuseeland und Estland - haben sich auch in Deutschland herumgesprochen. Über zwei Drittel der Bundesbürger lehnen sie ebenso ab wie 11 von 16 SPD-Landesverbänden. Als sich eine breite Bundestagsmehrheit aus
CDU/CSU und SPD im Mai 2008 über
alle Bedenken hinwegsetzte und dieses Mega-Privatisierungsprojekt ohne Gesetz durchwinkte, stimmten neben der LINKEN und den anderen Oppositionsparteien auch 27 SPD-Parlamentarier mit Nein. Der Parlamentsbeschluss gibt dem Management der bislang bundeseigenen Deutschen Bahn AG (DB) freie Hand für den Einstieg in die Teilprivatisierung. Nun sieht sich Hartmut Mehdorn, der 1999 vom damaligen Kanzler Schröder als DB-Chef angeheuert wurde, kurz vor dem Ziel. Der Börsengang und ein Logistik-Weltkonzern sind der Lohn für systema-tische Lobby-arbeit und politische Einflussnahme
durch ein enges Geflecht bezahlter Fürsprecher.
1991 machte Kanzler Kohl seinen Freund, den Industriellen Heinz Dürr, zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bundesbahn (West) und wenig später auch der Deutschen Reichsbahn (Ost). Dürr betrieb den Einstieg in die Privatisierung durch Überführung des staatlichen Sondervermögens Bahn in eine Aktiengesellschaft. Die hierfür erforderliche Grundgesetzänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit war ohne die oppositionelle SPD nicht zu machen. Dass dies Ende 1993 so reibungslos gelang, war vor allem dem SPD-Verkehrspolitiker Klaus Daubertshäuser zu verdanken.

Politiker werden
zu »Beratern«

Ein halbes Jahr später wechselte der Parlamentarier von der Oppositionsbank in die Chefetage der DB. Er war dort zeitweilig für den Personennahverkehr und bis Ende 2005 für den Bereich Marketing und politische Beziehungen zuständig. Danach arbeitete er bis zu seinem Tode im Juni 2008 über die Klaus Daubertshäuser Beratungs GmbH weiter für den DB-Vorstand. Nicht zuletzt durch ihn konnte die DB namhafte Politiker als »Berater« gewinnen - so Reinhard Klimmt (SPD), 1998/99 Ministerpräsident im Saarland und danach bis 2000 Bundesverkehrsminister. Klimmt weiß, was er seinem Brötchengeber schuldig ist, und will von der Kritik der Saar-SPD an der Bahnprivatisierung nichts wissen. Bei einer Bezirkskonferenz der Bahngewerkschaft TRANSNET Anfang 2008 rührte er die Werbetrommel für den
Börsengang. Als DB-Berater gewann Daubertshäuser über die Jahre auch Bremens Ex-Bürgermeister Klaus Wedemeier, die früheren Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt und Brandenburg, Jürgen Heyer (SPD) und Hartmut Meyer (SPD), den ehemaligen Abteilungsleiter im Thüringer Verkehrsministerium Klaus-Dieter Wolkwitz sowie Bayerns Ex-Finanzminister Georg von Waldenfels (CSU).
Daubertshäusers Nachfolger als »DB-Vorstand für Wirtschaft und Politik« wurde Anfang 2006 Otto Wiesheu (CSU), bis dahin bayerischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Technologie. Pikant an dieser Personalie ist, dass Wiesheu in den Verhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD mit dafür gesorgt hatte, dass der Koalitionsvertrag der Regierung Merkel den Bahn-Börsengang zu einem Hauptprojekt dieser Legislaturperiode bestimmte. Der CSU-Mann gab seinen geplanten Wechsel in die DB-Zentrale erst bekannt, als der Koalitionsvertrag »in trockenen Tüchern« war. Für die SPD sorgte damals auch »Noch-Kanzler« Schröder mit für die Festlegung auf die Kapitalprivatisierung. Danach verabschiedete sich Schröder aus allen politischen Ämtern und nahm eine Tätigkeit für den russischen Gazprom-Konzern auf. Wenn jetzt die russische Eisenbahngesellschaft RZD als möglicher Käufer deutscher Bahnaktien im Gespräch ist, dann dürfte dies auch Schröders gutem Draht nach Moskau geschuldet sein.

Kampf um Filetstücke

Schröder, Mehdorn und Norbert Hansen, bis Mai 2008 Vorsitzender der Bahn-Gewerkschaft TRANSNET, vermittelten lange den Eindruck eines Trios, das den angeblich »unausweichlichen« Gang an die Börse im Interesse der Beschäftigten bewerkstelligen würde. Hansen propagierte gegenüber zweifelnden Sozialdemokraten unermüdlich die Privatisierung. »TRANSNET fordert, dass wir privatisieren«, rechtfertigte sich SPD-Chef Kurt Beck am 1. Mai 2008 vor Privatisierungsgegnern. Hansens Mühe hat sich bezahlt gemacht: Er ist seit Juni 2008 DB-Personalvorstand. Ihm dürfte der Einsatz pro Börsengang grob geschätzt eine Verzehnfachung des Jahreseinkommens beschert haben. Zur jüngsten Meldung über einen Wechsel von Thomas Kohl, Hauptabteilungsleiter im Bundesverkehrsministerium, in das Bahn-Management erklärte Gregor Gysi: »Man hat den Eindruck, dass der Verkauf auch deshalb stattfindet, um Leute der eigenen Partei unterzubringen.«
Der DB-Aufsichtsrat, dem Hansen lange als stellvertretender Vorsitzender angehörte, segnete übrigens schon seit Jahren den Ausverkauf lukrativer Konzerntöchter an Vodafone, den Medienkonzern Ströer, den Baukonzern Hochtief und andere Private ab. Auf eine Anfrage des Autors 2005 an das Bundesverkehrsministerium, warum die Deutsche Bahn AG ohne Not die Deutsche Eisenbahnreklame (DERG) an Ströer verkauft habe, antwortete ein Sprecher des Hauses lapidar: »Die DB ist ein privater Konzern. Wir haben da nicht reinzureden.« Seit Jahren sind übrigens sechs der zehn vom Eigentümer Bundesrepublik Deutschland benannten DB-Aufsichtsratsmitglieder direkte Vertreter privater Konzerne und Banken. Dazu kommen drei Staatssekretäre der Bundesregierung und CDU-MdB Georg Brunnhuber.

Star Capital willDB Regio aufkaufen

Mehdorns DB-Konzern ist nicht der einzige Brötchengeber für Lobbyisten der Bahnprivatisierung. Denn die zunehmende Liberalisierung ruft auch andere Unternehmen auf den Plan, die sich auf dem staatlich geförderten Nahverkehrsmarkt tummeln und um eine Nähe zu politischen Entscheidungsträgern buhlen. So trat bei einer Anhörung im Bundestag im Juni 2006 ein gewisser Wolfgang Meyer in Erscheinung. Als Sprecher des Interessenverbandes deutscher Privatbahnen, Mofair e. V., kündigte er an, er wolle die DB-Nahverkehrstochter DB Regio stückweise aufkaufen, wenn man ihm »ein attraktives Angebot« mache. Meyer leitet die durch Ausgründung und Privatisierung der kommunalen Essener Verkehrsbetriebe entstandene Abellio-Gruppe, die inzwischen zu 75,1 Prozent Star Capital gehört, einem Konsortium aus der Bank of Scotland und der Santander-Bankengruppe.

Als seinen Mann im Bundestag hat sich Meyer Ex-Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) engagiert. Auf www.abgeordnetenwatch.de gibt Bodewig an, dass er als Vorsitzender des Abellio-Beirats jährlich »über 7000 Euro« bezieht; die wirkliche Summe dürfte weit höher sein.
CDU-MdB Friedrich Merz sitzt im Aufsichtsrat des Schienenfahrzeugherstellers Stadler Rail AG und des Axa-Konzerns. Axa ist an der Privatbahn Keolis beteiligt, die als Konkurrenz der DB Regio bereits einige regionale Aus-schreibungen gewonnen hat.
Ein von der Fraktion DIE LINKE in den Bundestag eingebrachter Antrag zur Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters erklärt, dass sich »Lobbyismus auch als Privatisierung von Politik« darstellt und »Entscheidungsfindungsprozesse maßgeblich von Akteuren bestimmt werden, denen die Verfassung keine Rolle im politischen System zugewiesen hat«. Wer »mit Hilfe verdeckten politischen Einflusses Partikularinteressen durchzusetzen versucht, meidet den öffentlichen Diskurs und verletzt so die Regeln der demokratischen Willensbildung«, so das Papier. Als Sofortmaßnahme fordert DIE LINKE, ehemaligen Ministern und Staatssekretären in den ersten fünf Jahren nach ihrem Ausscheiden eine Anstellung in der Privatwirtschaft zu untersagen, die im Zusammenhang mit ihrer vorigen Tätigkeit steht.