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Eine Frage der Gerechtigkeit

erschienen in Clara, Ausgabe 3,

Wenn es um die Zukunft für die Generationen geht, blasen die Neoliberalen zum Angriff auf den Sozialstaat.

Wenn 100 Bundestagsabgeordnete aus vier Fraktionen zusammen eine Grundgesetz-Änderung vorschlagen, dann ist Achtung geboten. Besonders dann, wenn DIE LINKE. überhaupt nicht vertreten ist. Die Gesetzesinitiative »Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz« will die Bhörden in Zukunft juristisch verpflichten, auf die Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu achten. Klingt doch gut, oder? Wer ist schon dagegen, zukünftigen Generationen ein gutes Leben zu sichern?

Warum unterschreibt DIE LINKE. dann nicht? Weil wir ewige Neinsager und Blockierer sind? Sicher nicht! Wir haben im Bundestag einen ganzen Berg von Vorschlägen auf den Tisch gelegt, mit denen schnell die Lage aller Generationen im Land verbessert werden könnte. Eines wurde dabei allerdings übersehen: Die Kluft besteht nicht zwischen Jung und Alt, sondern immer noch zwischen Arm und Reich.

Von Ausgrenzung und Armut sind Rentner ebenso betroffen wie Arbeitslose, Arbeitnehmer, prekär Beschäftigte, Studierende, Auszubildende oder Schüler. Das Gerede von der Generationengerechtigkeit verschleiert dies hinter einer egoistischen »Jugend-hat-Vorfahrt“-Rhetorik. Die Generationengerechtigkeit wird von Politikern im Munde geführt, denen der Sozialkahlschlag bisher nicht schnell genug gehen konnte. Deswegen lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen, wie eine umgestaltete Welt nach gerechten Vorgaben für die Generationen aussehen würde.

Hat Jugend wirklich Vorfahrt?

Was wäre dann vom Sozialstaat in 30 Jahren noch übrig? Deutschland 2040: Wer in dieser Welt alt wird, hat schlechte Karten. Gesetzliche Rente? Fehlanzeige! Mehr als eine Grundrente auf Sozialhilfeniveau gibt das Steuersäckel nicht her. Die Rentenversicherung hat den Generationengerechtigkeitstest leider nicht bestanden und wurde abgeschafft. Die Alten bevölkern längst nicht mehr die Urlaubsorte und Seniorenresidenzen, sondern die Supermärkte und Spielplätze - als Einpackhelfer und Aushilfs-Kinderbetreuer. Die Chancen, überhaupt eine Mindestrente zu beziehen, sind ohnehin gering. Die 2007 heiß umkämpfte Rente ab 67 ist Vergangenheit. Heute kämpfen die Gewerkschaften darum, dass nicht auch noch der letzte Rest der Rente abgeschafft wird. Apropos Gewerkschaften. Die müssen sich ganz schön was anhören im Land der Generationengerechtigkeit. Sie beharren immer noch darauf, dass in Tarifverträgen Lebensalter, Unternehmenstreue und Berufserfahrung mit einem höheren Grundgehalt belohnt werden. Dies, so wettern die Generationengerechtigkeitsfanatiker, benachteilige junge Arbeitnehmer. Dieselben Leute fordern an anderen Tagen übrigens niedrige Einstiegslöhne für Jugendliche, weil ihnen dies angeblich den Einstieg ins Arbeitsleben erleichtere.

»Generationengerechte« Rosskur

In einer generationengerechten Welt arbeiten eben fast alle zu Hungerlöhnen, ob jung, alt oder ganz alt. Auch dem Staat geht es nicht blendend nach einer generationengerechten Rosskur. Mit der Begründung, dass zukünftigen Generationen kein »Schuldenberg« hinterlassen werden dürfe, wurde ein Kreditverbot für die öffentlichen Haushalte in die Verfassung geschrieben. Weil aber die Vermögenden, Gutverdienenden und Unternehmen am liebsten gar keine Steuern zahlen wollen, mussten rabiate Sparprogramme aufgelegt werden. Eine verrottete Infrastruktur, am deutlichsten durch löchrige Straßen sichtbar, unterbezahlte und demotivierte Polizisten und Feuerwehrleute waren das Ergebnis. Öffentliche Jugendklubs gibt es praktisch nicht mehr. Inzwischen ist beinahe alles privatisiert, was sich nur zu Geld machen ließ. Regelmäßig wird über unhaltbare Zustände in den überfüllten Gefängnissen berichtet, mit denen internationale Konzerne Milliarden verdienen. Der soziale Wohnungsbau existiert nicht mehr. Die generationengerechte Stadt ist für alle so sichtbar: aufgeteilt in reiche Downtowns und Wohnquartiere wie Beverly Hills. Fußgänger fallen dem privaten Wachschutz bereits dadurch auf, dass sie eben nicht mit Autos in die gut gesicherten Grundstücke einfahren. In heruntergekommenen Wohnquartieren, wo es sich für die Eigentümerkonzerne nicht lohnt zu sanieren und die Kommune auch kein Geld hat, will und kann sich niemand wohlfühlen. Erschwingliche Wohnungen gibt es - ganz generationengerecht - weder für Junge noch für Alte. Dafür können die Bürger dann alle Jahre in bunten Broschürchen nachlesen, wie die aktuelle »Generationenbilanz« aussieht.

Geld ist nicht knapp

Zugegeben, eine zugespitzte Darstellung. Aber es ist doch wichtig zu wissen, was forsche Jungpolitiker meinen, wenn sie ihre Forderung nach »mehr Generationengerechtigkeit« vorbringen. Sie meinen nämlich zuallererst: weniger soziale Gerechtigkeit. Wer ernsthaft die Position vertritt, eine Politik sei »nachhaltig«, wenn sie Schulden als absolutes Übel vermeide, ist genauso weit entfernt von linken Politikansätzen wie von der Realität. Es ist zwar richtig, dass Geld eine »Ressource« ist. Wenn vom nachhaltigen Umgang mit Ressourcen die Rede ist, dann meinen wir aber natürliche Ressourcen - Wasser, Rohstoffe oder Energie. Da kann dann tatsächlich im Interesse zukünftiger Generationen gespart werden. Beim Geld liegt die Sache ganz anders. Wir bauen es nicht ab. Es gibt keine natürlichen Grenzen seiner Verfügbarkeit. Es ist nicht knapp, sondern - wegen einer falschen und unsozialen Steuerpolitik - in den falschen Taschen. Der »generationengerechte« Staat hat nichts mehr mit dem Sozialstaatsgebot im Grundgesetz zu tun. Das im vermeintlichen Interesse zukünftiger Generationen eingesparte Geld fehlt für Kindergärten, Jugendklubs, Schulen und Universitäten, für die Integration von Behinderten und für armutsfeste Renten.

Deshalb ist es auch wichtig zu wissen, wer hinter der Forderung nach mehr »Generationengerechtigkeit« steckt. Die Gesetzesinitiative ist Teil einer seit den 90er Jahren laufenden Kampagne. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die in Hessen ansässige »Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen«. Sie überzieht das Land und den Bundestag mit Workshops, Publikationen und PR-Aktionen. Inzwischen hat sie sogar ein eigenes Forschungsinstitut und eine Jugendorganisation gegründet. Die Stiftung bezieht ihre Mittel vor allem aus wirtschaftsnahen Quellen. Schnell drängen auch die üblichen Verdächtigen als Geldgeber und Kooperationspartner in die Öffentlichkeit: die Bertelsmann- und die Bosch-Stiftung zum Beispiel, die das Land schon seit Jahren mit Katastrophenszenarien zum »demografischen Wandel« verunsichern. Die Gesetzesinitiative ist Teil eines verdeckten Angriffs auf den Sozialstaat. Im pseudo-fortschrittlichen Gewand werden neoliberale Positionen salonfähig gemacht. So wird auf subtile Weise Propaganda für einen marktradikalen Politikwechsel betrieben. Unter den Antragstellern im Bundestag finden sich nicht nur bekannte neoliberale Parlamentarier, sondern auch gestandene Betriebsräte und Gewerkschafter. Das Gerede über die Generationengerechtigkeit fällt also auch bei Leuten auf fruchtbaren Boden, die sich selbst nicht für Neoliberale halten. Deshalb haben die PR-Strategen des Kapitals auch so ein großes Interesse an der Debatte. Sollte es gelingen, auf diesem Wege die Anwendung marktradikaler Konzepte dem eher kritisch eingestellten Teil der Bevölkerung schmackhaft zu machen, dann wäre für den neoliberalen Umbau der Gesellschaft viel gewonnen. Für DIE LINKE. kommt es darauf an, immer wieder daran zu erinnern, dass soziale Stabilität eines Staates wichtiger ist als Haushaltsstabilität. Wir kämpfen für eine gerechte Verteilung des gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtums. Und wer die Verteilungsfrage nicht stellen will, sollte von Gerechtigkeit schweigen.