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Ein Urteil, eine verlogene Rechtslage und eine neue Debatte

erschienen in Clara, Ausgabe 45,

Vor dem Amtsgericht Gießen hatten sich am Prozesstag etwa 400 Menschen mit Schildern, Transparenten und beschriebenen Regenschirmen eingefunden, um gegen die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbruch und für das Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, zu demonstrieren. Auch der Gerichtssaal war rappelvoll mit Unterstützerinnen und Unterstützern der angeklagten Ärztin Kristina Hänel und noch einmal so vielen Journalistinnen und Journalisten.

Gemeinsam mit meiner Fraktionskollegin Christine Buchholz, die als hessische Abgeordnete vor Ort war, habe auch ich den Prozess begleitet und auf der Kundgebung gesprochen. Das Thema der sexuellen und körperlichen Selbstbestimmung ist nicht nur für meine parlamentarische Arbeit zentral, ich habe mich darüber auch selbst politisiert. Der Kampf gegen den Paragrafen 218 Strafgesetzbuch (StGB), der Abtreibung bis heute verbietet, war für meinen politischen Werdegang zentral. Und diese Auseinandersetzung war ja in Teilen auch erfolgreich, wenngleich Schwangerschaftsabbruch noch immer im Strafgesetzbuch steht. Aber immerhin wurde erreicht, dass Frauen unter bestimmten Bedingungen straffrei abtreiben lassen können. Zufrieden macht mich das nicht. Wir fordern als LINKE deswegen weiterhin, den Paragrafen 218 zu streichen.

 

Schluss mit der Bevormundung

Bei der Reform des Paragrafen 218 wurde aber nicht nur weiterhin an einer Bevormundung von Frauen festgehalten, wie sie in der Pflicht zu einer Beratung deutlich wird, die Schwangeren auferlegt wird, bevor sie abbrechen lassen dürfen. Auch eine Reform des Paragrafen 219 a wurde verpasst. Das fiel lange Zeit nicht auf. Erst seit einigen Jahren wird dieses Verbot von Abtreibungsgegnern dazu genutzt, Ärztinnen und Ärzte und auch Beratungsstellen anzuzeigen, die öffentlich über Schwangerschaftsabbruch informieren. Dümpelte die Zahl der Anzeigen lange Zeit zwischen zwei und vierzehn pro Jahr, ist sie gerade in den letzten Jahren rapide angestiegen: Für das Jahr 2015 weist die Polizeiliche Kriminalstatistik 27, für das Jahr 2016 sogar schon 35 erfasste Fälle aus. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, dennoch erzeugen solche Anzeigen natürlich Verunsicherung bei den Betroffenen: Was ist zulässige Information, was ist verboten? Eine Übersicht von Praxen, die Abbrüche vornehmen, gibt es folglich nicht. Beratungsstellen stehen mit jedem Informationsflyer zu ihrer Schwangerschaftskonfliktberatung im Spannungsfeld von Aufklärung und Verbot.

Was das konkret für Frauen heißt, weiß jede, die schon einmal vor der Frage stand, ob sie eine Schwangerschaft beenden will oder nicht. Frauen können diese Entscheidung selbst treffen. Dabei hilft ein vor allem niedrigschwelliger Zugang zu Informationen. Die eigene Gynäkologin oder der eigene Gynäkologe sind oftmals Vertrauenspersonen und erste Ansprechpartner. Viele wissen aber noch nicht einmal, wie diese zu Schwangerschaftsabbruch stehen, geschweige denn, ob sie diesen auch durchführen. Und im ländlichen Raum müssen Frauen ohnehin kilometerweit fahren, um einen Eingriff vornehmen zu lassen.

Mit dem Fall Kristina Hänel ist der Paragraf 219 a mit Wucht ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Damit ist auch deutlich geworden, wie absurd dessen Existenz ist. Er steht nämlich im Widerspruch dazu, dass es Frauen prinzipiell möglich ist, einen Abbruch vornehmen zu lassen, und er kriminalisiert Fachleute, die diese medizinische Leistung als Regelleistung anbieten. Sie dürfen aber nicht darüber informieren. In der Folge können sie auch nicht darüber aufklären, welche Methode sie anbieten, worin die Vor- aber auch die Nachteile eines medikamentösen oder eines chirurgischen Eingriffs liegen. Frauen werden so in ihrem Informationsrecht beschnitten.

 

Weg mit Paragraf 218 und 219 a

Dass nicht nur der Paragraf anachronistisch ist, sondern den Gerichtssälen auch noch der Muff der 1960er Jahre anhängt, hat die Meinung der Richterin gezeigt. Eine schwangere Frau habe hormonelle Probleme, sei in einer wirtschaftlich schwierigen Situation, sagte sie frei heraus – kurzum: So richtig zurechnungsfähig können Schwangere wohl nicht sein, wenn man diese Worte zu Ende denkt. So skandalös diese Auffassung auch ist, der eigentliche Skandal wurde dennoch deutlich. Mehrfach betonten die Richterin und auch der Staatsanwalt, dass das Verbot des Werbens für und Anbietens von Schwangerschaftsabbruch Wille des Gesetzgebers sei. Damit liegt der Ball bei der Politik, dafür zu sorgen, dass das Recht von Frauen auf körperliche Selbstbestimmung, ihr Informationsrecht, ihr Recht auf freie Ärztinnen- und Ärztewahl endlich geltend gemacht werden kann.

Was der Prozess gegen Kristina Hänel auch gezeigt hat: Gesellschaftliche Stimmungen können sich ändern. Gesetze können aus der Mottenkiste geholt werden, wenn es sie gibt. Und: Eine Erlaubnis, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu können, ist noch kein Recht darauf. Deshalb muss Schwangerschaftsabbruch komplett aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden: Der Paragraf 218 wie auch der komplette Paragraf 219 a müssen weg! Bis dahin aber müsste wenigstens schon einmal der Paragraf 219 a auf den Müllhaufen der Geschichte.

Die Chancen stehen dafür gerade nicht schlecht. Kristina Hänel hat uns Mut gemacht, sie will weiter vor Gericht kämpfen und in die nächste Instanz gehen. Es gibt eine Bewegung, die Druck macht zu handeln. Bei der Urteilsverkündung drangen laute Rufe der Empörung in den Gerichtssaal. My body, my choice – war die unmissverständliche Ansage. Auch parlamentarisch sehe ich gute Chancen. Wir haben ein Gesetz zur Streichung des Paragrafen 219 a vorgelegt. Aus anderen Fraktionen gibt es Signale für ein gemeinsames Vorgehen. Momentan ist ja noch niemand an einen Koalitionsvertrag gebunden. Eine Mehrheit für eine Änderung wäre also möglich.

 

 

Solidarität mit Kristina Hänel

40 Tagessätze zu 150 Euro, also 6.000 Euro. Das ist die Strafe, die Kristina Hänel zahlen muss, weil sie auf ihrer Homepage darüber informierte, dass sie in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbruch anbietet. Die Gießener Ärztin wurde am 24. November 2017 verurteilt. Der Vorwurf: Sie habe gegen den Paragrafen 219 a Strafgesetzbuch und damit gegen das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbruch verstoßen.

Die Anklage und der Prozess gegen Kristina Hänel haben eine breite Solidarität mit der Medizinerin ausgelöst. Eine von ihr selbst initiierte Petition erhielt bis zum 27. November 2017 

über 130 000 Unterschriften; über 70 Mediziner und Medizinerinnen haben eine von zehn Ärztinnen und Ärzten initiierte Solidaritätserklärung unterzeichnet. Diese Unterstützung ist weiterhin nötig, denn Kristina Hänel will sich mit dem Urteil nicht abfinden und, wenn nötig, bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen.

Verschiedene Möglichkeiten, sie in ihrem Kampf gegen das Werbeverbot und für das Recht auf Informationsfreiheit, Selbstbestimmung und freie Arztwahl zu unterstützen, finden sich auf der Homepage: solidaritaetfuerkristinahaenel.wordpress.com