Zum Hauptinhalt springen

Ein leiser Zwischenruf

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

Als ich Sie um dieses Interview bat, waren Sie erfreut, dass der Film
»Die Hetzjagd« überhaupt gespielt wird. Daraus ist zu entnehmen, er ist Ihnen wichtig und wird einem breiten Publikum zu wenig gezeigt. Ist meine Vermutung falsch?

Nein, der Film ist wichtig, weil er in Erinnerung hält, dass man Faschist nicht so eben mal zufällig wird. Man wird nicht »angesteckt«, als wäre es ein Virus, sondern man wird es und will es werden. Barbie ist ein schreckliches Beispiel für dieses Wollen.

Man sagt über Sie, Sie brauchen immer einen Impuls, um eine Rolle anzunehmen. Welcher war es, den Barbie zu spielen?

Einen Impuls gibt es nicht, eher die Überlegung, die Frage, wie eine Figur,
die sich lange Zeit erfolgreich getarnt und selbst verharmlost hat, auf die Enttarnung reagiert; sich verheddert, die Fasson verliert … Das ist die Spielaufgabe. Der Täter wird gejagt, was ihn aber nicht zum Opfer macht.

Mir fiel es schon beim Lesen schwer zu ertragen, was sich dieser Mensch an Grausamkeiten ausdachte. Wie gelingt es, Unfassbares zu spielen?

Das, was Sie das Unfassbare nennen, ist durchaus fasslich: Es ist der hemmungslose Wille zur physischen Gewalt, zur Folter - worin sicher auch ein persönlicher Genuss steckt, der durch die Macht, in deren Namen gefoltert wird, legitimiert ist.

Klaus Barbie war alles andere als ein Vordenker oder eine Führungsfigur des NS-Regimes, eher ein besonders brutaler und fanatischer Handlanger. Folgte er der Banalität der Blödheit, bereit zu allem zu sein, wenn es gefordert ist?

Er war ein schlechter Polizist, technisch gesprochen, d.h. er war nicht einmal in der Lage, ein Verhör zu führen, ohne an die Möglichkeit und also die Drohung der Folter zu denken.

Barbie stieg nach seiner Flucht 1951, die ihm mit Hilfe des US-Geheimdienstes und mit Unterstützung der katholischen Kirche gelang, später zum Berater des Präsidenten von Bolivien auf. Ist das zu begreifen?

Die Vertuschungs-, Übernahme- und Tarnungsmanöver sämtlicher Kriegsalliierten nach dem Krieg unterscheiden sich in ihrem Zynismus nur graduell voneinander.

Haben Sie eine Erklärung dafür,warum Vorurteile und Ressentiments gegen Linke, gegen Juden, Homosexuelle, Osteuropäer usw. nach all den schrecklichen Erfahrungen mit dem Nazi-Regime noch immer auch in aufgeklärten Köpfen herrschen?

Die Unterscheidung in hier marginalisierte, dort aufgeklärte Köpfe ist mir zu simpel.

Anders gefragt, was fehlt Ihnen persönlich an der Lösung dieses gesellschaftlichen Problems?

Ich weiß nicht, ob sich gesellschaftliche Probleme wirklich »lösen« lassen. Zum Beispiel die reflexartigen Rückgriffe auf Sündenböcke in Zeiten der Krise.
Es wäre zu fragen, wie dieser Reflex behindert, umgelenkt, neutralisiert werden kann. Ich habe dafür kein Rezept parat, allenfalls den leisen - utopischen - Zwischenruf, man möge Öffentlichkeit herstellen, ohne gleich ein mediales Ereignis daraus zu machen. Das Medienereignis ist laut und rasch verflogen und lässt in der Regel nur geringe Spuren in der Erinnerung zurück, es verleitet den Einzelnen zur Inaktivität. Öffentlichkeit, wie ich sie verstehe, ist eher etwas Lokales, appelliert an die Teilhabe mit
dem und den Respekt vor dem andern.

Was sagen Sie dazu, dass sich die Bundesregierung offenbar noch immer weigert, Beate Klarsfeld für ihren Beitrag zur Bewältigung deutscher Vergangenheit zu ehren?

Schande über eine Regierung, die so etwas tut bzw. unterlässt - wenn es denn stimmt!

Es ist tatsächlich so.

Das Gespräch führte Marion Heinrich