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Ein Konzern mit zu viel Macht

erschienen in Clara, Ausgabe 31,

Asklepios ist einer der größten privaten Klinikkonzerne Deutschlands – auf Sylt hat er nun die einzige Geburtshilfestation geschlossen

Wo kann ich mein Kind zur Welt bringen? Diese Ungewissheit plagte Christine Lunk (35) viele Monate ihrer Schwangerschaft, ebenso Nadja Vollmeyer (36). Beide wohnen sie auf Sylt, und seit Monaten tobt dort ein Kampf um die Geburtshilfe.

Einige Monate zuvor hatte Asklepios, der private Klinikbetreiber der Nordseeklinik auf Sylt, erklärt, die Geburtshilfe in der bisherigen Form nicht weiterführen zu können. Einer der beiden bisherigen Ärzte gehe in Ruhestand. Seitdem überschlugen sich die Meldungen, an manchen Tagen mehrfach: Mal war keine Lösung in Sicht, dann doch, dann wieder nicht. Monatelang ging das so, nur eine Konstante blieb: die Ungewissheit für die Frauen, wo kann ich mein Kind zur Welt bringen? Irgendwann beklagte ein Redakteur der Sylter Rundschau: Die Klinikleitung ziehe sich auf eine Argumentationskette zurück, die von der Sprache des kalten Herzens geprägt sei.

»Kaum war eine Lösung gefunden, hat Asklepios immer wieder ein neues Problem ausgemacht«, sagt Christine Lunk. Beide Frauen fingen an, sich privat nach einer Lösung umzusehen. Anfang Dezember legte sich Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) ins Zeug: Die Klinik habe einen unbefristeten Versorgungsauftrag für die Geburtshilfe und sie erwarte, dass dieser erfüllt werde. Einen Monat später erklärte sie: »Es ist aus fachlich medizinischer Sicht für die Patientinnen nicht verantwortbar, eine Geburtshilfe zwanghaft anzubieten.« Als Gründe führte sie in einem Interview die niedrige Geburtenrate auf Sylt, die personelle Situation vor Ort und anderes an.

»Die Ministerin ist einfach vor der Allmacht des Asklepios-Konzerns eingeknickt«, sagt Nadja Vollmeyer. Zum Glück hatten Christine Lunk und Nadja Vollmeyer da schon individuelle Lösungen gefunden. Lunks Plan: Zwei Wochen vor der Geburt nach Hamburg zu Freunden gehen. Vollmeyer hingegen hatte eine Klinik in Niebüll gefunden.

Vollmeyer und Lunk sind sich sicher: Kostengründe haben das Aus für die Geburtshilfe besiegelt. »Es geht halt ums Geld, leider auch in einem Bereich wie Gesundheit«, sagt Vollmeyer.

Dass dem so ist, hat etwas mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun. Seit mehr als 20 Jahren tobt zwischen Krankenhäusern – egal ob privat oder in öffentlicher Hand – ein gnadenloser Wettbewerb. Seine Wurzeln hat er im Vergütungssystem: Nicht die tatsächlichen Behandlungskosten werden bezahlt, sondern nur Fallpauschalen, die sich nach Diagnosen richten.

Vor allem solche Kliniken – vornehmlich in öffentlichem Besitz –, die breit aufgestellt und eine möglichst umfassende Versorgung bieten wollen, stehen unter extremem Kostendruck. Kein Geheimnis ist zudem, dass sich mit einigen Abteilungen wie etwa der Geburtshilfe oder Intensivstationen eher rote als schwarze Zahlen schreiben lassen. Der erhöhte Aufwand wird in den Fallpauschalen nicht abgebildet.

Die Krankenhauslandschaft hat das enorm verändert. Zahlreiche Häuser wurden geschlossen, zudem sind immer mehr Einrichtungen privatisiert worden – die vor allem in den Besitz der großen Konzerne Asklepios, Rhön, Helios und Sana übergingen. Nicht wenige Kommunen und Gemeinden sahen angesichts der leeren Haushaltskassen in diesen Konzernen die Retter für ihre defizitären Häuser.

Auch der Konzern Asklepios (Asklepios ist in der griechischen Mythologie der Gott der Heilkunst) war vielerorts ein willkommener Retter und übernahm defizitäre Einrichtungen wie im oberpfälzischen Landkreis Schwandorf.

Im Jahr 2010 verkaufte der Landkreis seine drei Krankenhäuser in Burglengenfeld, Nabburg und Oberviechtach für 50.000 Euro an den Konzern und sicherte ihm zusätzlich noch Zuschüsse in Millionenhöhe zu. Eine Bürgerinitiative versuchte, den Verkauf zu verhindern, warnte: Wertvolle Bereiche der Grundversorgung könnten dem Gewinnstreben zum Opfer fallen.

Nur drei Jahre später, Anfang 2013, verkündete der Konzern für den Standort Nabburg das Aus. Ausgerechnet nach einem Jahr, das dem Gesamtkonzern einen Rekordgewinn von fast 113 Millionen Euro beschert hatte. Auf einer Sitzung des Kreistages konnten sich die Mitglieder belehren lassen: Alles ganz legal, denn die mit dem Konzern geschlossenen Verträge gestehen ihm zu, das Krankenhaus einfach »selbst« aus dem Krankenhausplan zu entfernen. In der anschließenden Debatte war von Vertrauensverlust und eingesackten Zuschüssen die Rede. Ein SPD-Kreisrat ließ sich in der lokalen Presse zitieren: »Der Beschluss vor drei Jahren war ein Bereicherungsprogramm für Asklepios und nicht im Interesse Nabburgs und der Landkreisbürger.«

All die Aufregung half nichts, und es kam noch schlimmer. Ein paar Monate später traf auch den Standort Oberviechtach der »Asklepios-Blitz« – wie es eine Beschäftigte dort ausdrückte. Der Asklepios-Plan: das komplette OP-Team in eine andere Klinik zu verlagern und am Standort die Vollzeitkräfte um 50 Prozent zu reduzieren. Solch ein Ausdünnen der Klinik befürchten jetzt auch die beiden Sylterinnen. »Wenn es dem Konzern möglich war, einen emotional so sensiblen Bereich wie die Geburtshilfe zu schließen, was soll die Klinikleitung hindern, einen weiteren Bereich zu schließen«, sagt Nadja Vollmeyer. Nachteile für die betroffenen Menschen würden offensichtlich keinerlei Rolle spielen.

Das Aus für die Geburtshilfe hat für beide Frauen schwerwiegende Folgen gehabt. Nadja Vollmeyer wurde mit Krankenwagen und Autozug aufs Festland abtransportiert, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen – aber nicht in ihre Wunschklinik nach Niebüll. Christine Lunk weilt derzeit in Hamburg, ohne zu wissen, ob ihr Mann die Geburt des Kindes miterleben kann. Er arbeitet auf Sylt. Wochenlang Urlaub nehmen ist nicht möglich. Jetzt hofft sie darauf, dass ihr Kind eine »kluge Entscheidung« trifft und am Wochenende zur Welt kommt, wenn ihr Mann zu Besuch ist.

Noch Ende November, als nach einer Lösung für die Geburtshilfe auf Sylt gesucht wurde, warf der Chefredakteur der Sylter Rundschau, Michael Stitz, dem Konzern Asklepios »mangelndes Mitgefühl« vor und mahnte: »Asklepios sollte ein elementares Interesse daran haben, auf der Insel nicht als von Controllern gesteuertes Profitcenter wahrgenommen zu werden.« Jetzt, Ende Januar, gibt es daran bei den beiden Frauen Nadja Vollmeyer und Christine Lunk keinen Zweifel mehr.